Saturday, February 21, 2009

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Zwangsheirat
Häusliche Gewalt
Ehrenmorde

Referat für interkulturelle Angelegenheiten
Referat für Frauen und Gleichstellung
Landeshauptstadt Hannover



Runder Tisch des Hannoverschen Interventions-Programmes gegen Männer-Gewalt
in der Familie
Inhalt
Grußwort Seite 5
Herbert Schmalstieg
Einführung Seite 7
Tagesteam
Zwangsheirat, Ehrverbrechen, Häusliche Gewalt Seite 9
Bianca Wenzel
Rechtliche Aspekte Seite 15
Seyran Ates¸
Strafrechtliche Regelungen und Problembereiche Seite 23
Regina Kalthegener
Papatya – Kriseneinrichtung für junge Migrantinnen Seite 29
Corinna Ter-Nedden
Handlungsperspektiven in Niedersachsen Seite 37
Ulrike Westphal
Anhang: Autorinnen/Tagungsteam Seite 41
Anhang: Handlungskonzept: Zwangsheirat ächten – Zwangsehen
vorbeugen Seite 42
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Sehr geehrte Damen und Herren,
Leider nimmt es kein Ende: Wieder sind Ehrenmorde in
Deutschland zu beklagen: Vor einer Woche wurde eine
Türkin Wiesbaden-Dotzheim von ihrem älteren Bruder
erschossen, weil sie einen deutschen Freund hatte und das
Elternhaus verlassen hatte, weil die Familie diese Beziehung
missbilligte.
In Tecklenburg bei Münster wurde eine schwangere Frau
und ihr Lebensgefährte von ihrem Noch-Ehemann aus
Montenegro und dem 13 jährigen Sohn mit Messerstichen
verletzt, dabei starb ihr ungeborenes Kind.
Diese Ereignisse zeigen von welch erschütternder Aktualität
das Thema dieser heutigen Tagung ist.
Zwangsheirat, häusliche Gewalt und Ehrenmorde im Kontext
der Einwanderung sind heikle Themen, die religiöse
Traditionen und kulturelle Normen tangieren und deshalb
oftmals ausgespart werden, wenn es um die Integration
von Migrantinnen in Deutschland geht.
Auch deshalb freut es mich als Oberbürgermeister besonders,
dass die heutige Fachkonferenz „Zwangsheirat,
Häusliche Gewalt, Ehrenmorde“ auf Initiative des Runden
Tisches des Hannoverschen InterventionsProgrammes
(HAIP) gegen MännerGewalt in der Familie zustande
gekommen ist.
Die OrganisatorInnen vom Runden Tisch unter Federführung
des städtischen Referats für interkulturelle Angelegenheiten
haben in der Vorbereitung der Tagung festgestellt,
dass das Interesse an diesem schwierigen Thema
sehr groß ist.
So musste aufgrund der vielen Anmeldungen, der Veranstaltungsort
kurzfristig gewechselt werden.
Diese Resonanz und die vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer
aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen zeigen,
dass wir richtig gehandelt haben, uns des Themas in
Hannover anzunehmen.
Grußwort
Es ist wichtig, dass Politik und Fachöffentlichkeit sich des
Themas Zwangsheirat mehr und mehr annimmt und es
öffentlich diskutiert.
Insbesondere begrüße ich das Engagement der Niedersächsischen
Sozialministerin, Frau von der Leyen und teile
ihre Kritik, dass wir im Namen einer falsch verstandenen
Toleranz bei Zwangsverheiratung und Ehrenmorde zu lange
weggeschaut haben.
Deshalb ist es gut und richtig, dass der Niedersächsische
Landtag im Mai 2005 auf Antrag Bündnis 90/Die Grünen
eine Entschließung verabschiedet hat, bis 2006 ein Handlungskonzept
„Zwangsheirat ächten – Zwangsehen verhindern“
zu entwickeln und sinnvolle Maßnahmen mit
Verbänden, Kommunen, Migrantenverbänden, religiösen
Gemeinschaften und dem Bund zu beraten.
Ich wünsche mir, dass auch die LHH in diese Konzeptarbeit
eingebunden wird.
Auch liegen mittlerweile von einigen Bundesländern
Gesetzesinitiativen gegen Zwangsheirat vor, auf die ich hier
nicht detailliert eingehen möchte, weil sie Bestandteil der
Konferenz sind.
In Bezug auf Gesetzesinitiativen möchte ich jedoch ausdrücklich
davor warnen, das gesellschaftliche Phänomen
Zwangsheirat auf Kosten der Betroffenen zu lösen.
Ich meine hier insbesondere die Äußerungen des Niedersächsischen
Innenministers Schünemann.
Er fordert Sprachprüfung und Mindestalter bei Nachzug von
Ehepartnern einzuführen und will sich dafür einsetzen, dass
in das zweite Gesetz zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes,
das sich derzeit in Vorbereitung befindet, entsprechende
Änderungen aufgenommen werden.
Ich kann nur hoffen, dass der Bundesinnenminister Otto
Schily sich einer solchen Initiative nicht anschließt, denn
das ist als Lösung inakzeptabel. Vielmehr muss dafür Sorge
getragen werden, dass von Zwangsheirat betroffene Frauen
und auch Männer hier entsprechende Hilfen bekommen.
Integration kann nur gelingen, wenn wir die Probleme
offen diskutieren und gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten
suchen.
und Experten sind sich aber einig, dass die Dunkelziffer
sehr viel höher liegt.
Auch in Hannover fehlen gesicherte quantitative Erkenntnisse.
Diese sind jedoch wichtig, um das Ausmaß der
Problematik überhaupt zu erfassen und um entsprechend
darauf zu reagieren.
Was es gibt in Hannover, sind konkrete Erfahrungen in
den Beratungsstellen für Mädchen und Frauen und einige
wenige Zahlen. Diese belegen, dass auch in der Landeshauptstadt
Hannover eine hohe Zahl junger Frauen betroffen
ist.
Seit Januar 1995 bis Dezember 2004 hat es nach einer
Erhebung allein im Frauen- und Kinderschutzhaus in Hannover
110 telefonische Anfragen gegeben, in denen es um
das Thema Zwangsverheiratung ging.
Die meisten betroffenen Frauen und Mädchen, die sich an
das Frauen- und Kinderschutzhaus wandten, stammten
aus der 2. und 3. Einwanderergeneration aus den Ländern:
Türkei, Afghanistan, Iran, Syrien, Palästina, Libanon, Aserbeidschan
und Jordanien und waren Muslima.
Seit dem Jahr 2000 lebten 33 Frauen im Frauen- und Kinderschutzhaus,
die ausdrücklich vorgaben, in einer „arrangierten
Ehe“ gelebt zu haben.
Zwei von ihnen wurden in der Zwischenzeit von ihren Ex-
Ehemännern aus Gründen der „Ehre“ ermordet, weil sie
sich nach zum Teil jahrelangen Misshandlungen von diesen
getrennt hatten, eine Frau wurde bei einem Angriff ihres
Ex-Ehemannes schwer verletzt.
Seit vielen Jahren befassen sich Schutzeinrichtungen und
Gewaltberatungsstellen in Hannover mit dem Themenkomplex
häusliche Gewalt, Zwangsheirat, Ehrenmord.
Seit 1997 in einem Netzwerk gegen Gewalt in der Familie,
dem Hannoverschen Interventionsprogramm gegen Männergewalt
in der Familie.
Ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben von
Frauen gehört zu den grundlegenden Werten der Gesellschaft.
Gerade deshalb kann es nicht angehen, dass Frauen
und Mädchen gegen ihren ausdrücklichen Willen verheiratet
werden. Zwangsheirat ist eine in der Öffentlichkeit eher
unbekannte Form von häuslicher Gewalt.
Meinen Damen und Herren, Zwangsheirat ist eine Menschenrechtsverletzung
und wurde 2001 von den Vereinten
Nationen zu einer modernen Form der Sklaverei erklärt.
Dennoch wird der Kampf gegen Zwangsheirat als Einmischung
in vermeintlich religiöse Traditionen und kulturelle
Normen gesehen.
Die Wertschätzung kultureller Vielfalt darf aber keinesfalls
dazu führen, dass die Thematisierung von Zwangsheirat,
häusliche Gewalt, Ehrenmorde nicht öffentlich diskutiert
werden, ja auch angeprangert kann.
Denn die Folgen für Frauen und Mädchen sind drastisch:
Oft dürfen sie ihre Schulausbildung nicht beenden, werden
häufig sexuell ausgebeutet und hängen in der Regel finanziell
vollständig vom Ehemann ab, dürfen nicht mehr über
ihr eigenes Leben entscheiden.
Zwangsheirat, häusliche Gewalt und Ehrenmorde haben
nicht unmittelbar mit der Religion zu tun, sondern sind vor
allem das Ergebnis überkommener Traditionen und Bräuche
(Ehrbegriff), insbesondere in patriarchalisch geprägten
Gesellschaften.
Sie kommen sowohl in islamischen Familien aus der Türkei
vor als auch in buddistisch-hinduistischen Familien aus Sri
Lanka, in Familien aus christlichen Griechenland, oder aus
Süditalien.
Über das Ausmaß von Zwangsheirat gibt es bundesweit
kaum gesicherte Daten. Die einzigen konkreten Daten liefert
eine Erhebung des Berliner Senats bei über 50 Jugendund
Beratungseinrichtungen.
Demnach sind in Berlin im Jahre 2002 230 Fälle von
Zwangsverheiratungen aktenkundig geworden. Expertinnen
Zwangsheirat und Ehrenmord – Themen, die uns nicht
betreffen? Themen, die Bestandteil einer anderen Kultur,
einer anderen Lebenswelt sind? Themen, die in die neuerdings
so gern zitierten „Parallelgesellschaften“ gehören,
abseits von unserem täglichen Ablauf, unangenehme
Themen, die sich aber leicht wieder ausblenden lassen,
wenn die erste Empörung über die letzte Tat in den Medien
wieder verklungen ist. Erinnert sich heute noch jemand
an die Namen der Getöteten, die einige Tage in großen
schwarzen Lettern auf den Titelseiten der Zeitungen standen?
Vielleicht haben wir schon einmal davon gehört, von einer
Frau, die nicht mit dem Partner zusammenlebt, den sie sich
ausgesucht hat, von Mädchen, die ab einem bestimmten
Alter Angst vor den Sommerferien bekommen und vor dem
anstehenden Besuch in der „Heimat“, weil sie wissen, dass
sie dort möglicherweise ein Versprechen einlösen müssen,
dass der Vater dem Onkel, Bruder, Cousin vor Jahren
gegeben hat. Tun sie es nicht, verletzen sie die Ehre, eine
Ehre, die nicht die ihre ist, sondern eine kollektive Ehre der
Familie, des Clans und die von deren männlichen Mitgliedern
– nicht selten bis zum Tod des Mädchens/der Frau
– verteidigt wird. Eine Ehre, die sehr empfindlich ist, die
schon durch einen Wimpernschlag verletzt werden kann.
Aber auch Mütter und andere weibliche Familienmitglieder
fühlen sich Ihr verpflichtet und verlangen von ihren
Töchtern Unterwerfung unter die Zwänge, die diese Ehre
ihnen auferlegt, denn das ist das Ziel ihrer Erziehung, alles
andere würde auch ihnen Schande bringen.
Frauen und Mädchen können dieser Ehre nicht entfliehen,
ohne sie zu beschmutzen oder zu verletzen, sie können
positiv zu dieser Ehre nur beitragen, indem sie sich den
Vorschriften und Forderungen des Vaters/der Familie
widerspruchslos unterwerfen. Tun sie es nicht, widersetzen
sie sich dem „Wunsch“ der Eltern, werden sie verfolgt und
– nicht selten – getötet.
Dies geschieht nicht etwa nur in Anatolien, Marokko,
Afghanistan, Bosnien oder auf der Arabischen Halbinsel
– dies geschieht immer öfter auch in Deutschland, in
unserer Nachbarschaft, vor unserer Haustür.
Einführung
Dort wird beobachtet, dass nicht nur die von Zwangsheirat
betroffenen Mädchen und Frauen die Beratungsstellen verstärkt
in Anspruch nehmen, sondern auch Bezugpersonen,
die diese Formen von Gewalt nicht tolerieren oder unterstützen
wollen.
So wenden sich zunehmend Freundinnen, aber auch LehrerInnen,
SozialarbeiterInnen, Vorgesetzte und KollegInnen
an die Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen in der
Stadt, um sich Informationen und Rat zu holen.
Verstärkte Aufklärung und Prävention gegen Zwangsverheiratung
tut not. Mit dieser Fachkonferenz wollen wir uns
der Thematik und der Aufgabe in unserer Stadt stellen, die
Fachöffentlichkeit zu informieren, zu sensibilisieren und ein
Forum für Informationsaustausch und Vernetzung anzubieten.
Bei dieser Konferenz sollen Handlungsperspektiven auf der
kommunalen Ebene ebenso diskutiert wie über mögliche
Handlungskonzepte nachgedacht werden.
Diese Fachkonferenz soll nicht nur motivieren, sondern
auch Mut machen, über die Frage zu diskutieren, was getan
werden muss und kann. In diesem Sinne wünsche ich der
Konferenz interessante und konstruktive Diskussionen.
Herbert Schmalstieg
Seit Jahren schon wenden sich Mädchen, die Angst vor
einer nicht gewollten Verheiratung haben und Frauen, die
in einer Zwangsehe leben und leiden, an Beratung- und
Schutzeinrichtungen. Hatun Sürücü’s Tod in Berlin und die
Reaktion darauf hat vielleicht endlich in der Öffentlichkeit
für die Aufmerksamkeit gesorgt, die diesem Thema
angemessen ist. Frauen, die von einem solchen Schicksal
betroffen oder bedroht sind, brauchen nicht unser Mitleid,
sie brauchen unsere Unterstützung in welcher Form auch
immer sie nötig ist, sei es Beratung, Schutz, oder eine neue
Identität. Das Grundgesetz gibt allen Frauen das Recht,
körperlich und seelisch unversehrt zu leben.
Welches Recht haben wir, uns hier einzumischen,
haben wir überhaupt das Recht dazu?
Einige der in Deutschland lebenden Migrantinnen haben
keinen Zugang zu Zeitungen, Büchern und anderen Veröffentlichungen,
die sich dieser Problematik in den letzten
Jahren angenommen haben. Sie können sich nur schwer
gegen die Bedingungen ihrer Lebensumstände auflehnen,
denn sie erfahren nichts über die Rechte oder die Hilfen,
die ihnen zustehen.
In den Beratungs- und Schutzeinrichtungen für Frauen, die
von häuslicher Gewalt betroffen sind, verzeichnen wir seit
Jahren eine steigende Anzahl an Beratungswünschen von
LehrerInnen, AusbilderInnen, NachbarInnnen, ErzieherInnen,
SozialabeiterInnen, die Mädchen oder eine junge Frau
in ihrer Gruppe oder Klasse, oder als Lehrling betreuen,
die sich Hilfe suchend an sie gewandt haben, weil sie z.B.
verheiratet werden sollen.
Inhalt dieser Gespräche ist meistens die Frage nach
Schutzmöglichkeiten, nach Beratung in ausländerrechtlichen
Fragen. Oft wird aber auch die Angst vor den Konsequenzen
thematisiert, die entstehen, wenn gegen den
Wunsch der Familie gehandelt wird. Die Zerrissenheit
zwischen dem Wunsch, ein eigenes selbst bestimmtes
Leben zu führen und der Angst vor dem Verlust der familiären
Bindungen ist für die Betroffenen ein Dauerthema,
dem sie sich nur schwerlich entziehen können. Im Frauen
– und Kinderschutzhaus sind schon viele Frauen gewesen,
die diesem Schicksal entrinnen wollten, einige von ihnen
mussten diesen Wunsch mit ihrem Leben bezahlen.
Die inzwischen zahlreich in Buchform erschienenen
Berichte derer, die den Schritt gewagt haben, bringen uns
diese Sorgen und Ängste – manchmal auf beklemmende
Weise – nahe. Den meisten Frauen und Mädchen, die von
einer Zwangsverheiratung bedroht oder schon betroffen
sind, stehen diese Bücher nicht zur Verfügung. Sie wissen
nichts über die Rechte, die ihnen in Deutschland zustehen.
Gesellschaftliche Isolierung und – häufig daraus resultierend
– mangelnde Sprachkenntnisse tun ein Übriges, um
sie in ihrer Situation gefangen zu halten.
Als Multiplikatorinnen in unterschiedlichsten beruflichen
Zusammenhängen sollten wir als Informationsquelle und
Anlaufstelle fungieren, um über mögliche Hilfsangebote
und Alternativen aufklären zu können. Deshalb betrachten
wir die hier dokumentierte Veranstaltung als einen allerersten
Schritt auf dem Weg, Frauen und Mädchen in Deutschland
zu den gleichen Rechten zu verhelfen.
Tagungsteam
Zwangsheirat,
Ehrverbrechen,
Häusliche Gewalt
Vortrag von Bianca Wenzel
Mein Name ist Bianca Wenzel, ich bin seit
2001 Mitfrau bei TERRE DES FEMMES und dort
Ansprechpartnerin für die Städtegruppe Kassel-
Nordhessen. Außerdem bin ich seit diesem Jahr im
bundesweiten Vorstand tätig. Zugegeben, es fällt
mir heute ein wenig schwer über Zwangsheiraten
und häusliche Gewalt zu sprechen, da ich gerade
erst vor zweieinhalb Wochen selbst geheiratet
habe, jedoch aus freiem Willem und vor allem aus
Liebe.
TERRE DES FEMMES wurde 1981 aus der Einsicht
heraus gegründet, dass Gewalt gegen Frauen zu
wenig beachtet wird. Frauen und Mädchen sollten
überall auf der Welt die Möglichkeit haben, ein
freies, gleichberechtigtes und selbstbestimmtes
Leben zu führen. Das größte Hindernis bei der
Verwirklichung dieser Vision ist die spezifische
Gewalt gegen Frauen, der sie nur aus einem
einzigen Grund ausgesetzt sind: weil sie Frauen
sind.
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Diese Thesen galten nicht nur für den Adel, auch die einfachen
Leute versuchten so immer wieder ihr Ansehen zu
verbessern.
Die verheirateten Frauen hatten nur eine Aufgabe: einen
Erben zu zeugen. Gelang dies nicht, wurde die Ehe schnell
gelöst und eine neue, bessere Kandidatin gesucht. Weiterhin
wurde von den Frauen erwartet treu und rechtschaffen
zu sein.
Noch heute werden in Indien immer wieder Frauen Opfer
sogenannter Mitgiftmorde, d. h., wenn ihre Mitgift, die noch
Jahre nach Eheschließung gefordert werden kann, nicht
geleistet werden kann, wird die Frau ermordet. Wird eine
Kandidatin gefunden, die mehr Mitgift in die Ehe einbringt,
geschieht es ebenfalls, dass die Erstfrau umgebracht wird.
Scheidungen waren damals eine schnelle und einfache
Angelegenheit. Erst im 9.Jh., nach Einführung der „Theorie
zur Unauflöslichkeit der Ehe“, wurde diese willkürliche
Scheidungspolitik stark eingeschränkt. Daraufhin galt Ehebruch
nicht mehr unbedingt als Scheidungsgrund, vielmehr
musste der Scheidungswillige nahe Verwandtschaftlichkeit
finden, um geschieden werden zu können. Heinrich VIII. ist
ein gutes Beispiel für das schnelle Verstoßen einer uninteressant
gewordenen Frau – kaum war die unliebsame Frau
aus dem Weg geräumt, kam die nächste, wenn sie nicht
sogar schon da war. Zwecks Scheidung wurden willkürliche
Behauptungen über das unsittsame Verhalten gefunden.
Zumal im Mittelalter Ehebruch nur von Frauen begangen
werden konnte, die dafür mit dem Tode bestraft wurden.
Männer konnten in der Regel soviele Frauen haben, wie
es ihnen beliebte, dafür wurden sie zwar von der Kirche
getadelt, die aber nicht weiter eingriff. Auch heute ist dies
in der Scharia noch so: Frauen werden zu Tode gesteinigt;
die Männer werden mit Peitschenhieben bestraft.
Aktuell wird, gerade in Zeiten knapper Kassen, immer
wieder über die Familienzusammenführungen bzw. Importbräute
geschimpft. Auch dafür gibt es in der deutschen
Geschichte Beispiele, so wurden zum Beispiel Frauen aus
Konstantinopel „importiert“. Sie kamen in ein Land, das sie
nicht kannten, mit einer Sprache, die sie nicht beherrschten
– genau wie die „importierten“ Frauen heute. Nicht nur
im Mittelalter wurden Frauen in unseren Breitengraden
zwangsverheiratet, im letzten Jahrhundert kam es noch
häufig vor, dass die Eltern den zukünftigen Mann ihrer
Tochter bestimmten.
Wir sehen, früher war nicht alles besser, und wir sollten
aufhören, mit dem Finger auf etwas zu zeigen, das wir
selber vor gar nicht allzu langer Zeit genauso gemacht
haben!
Durch Zwangsheirat wird Mädchen und jungen Frauen das
Recht auf persönliche Freiheit abgesprochen. Dadurch
werden Frauen und Mädchen zu ehelichen Pflichten
gezwungen, d. h. sie müssen ihrem Mann sexuell zur
Verfügung stehen, ihre Arbeitskraft wird ausgebeutet,
Frauen und Mädchen brauchen eine eigene starke Lobby
und Organisation, damit die Belange der Frauen einen
höheren Stellenwert in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
bekommen. TERRE DES FEMMES arbeitet auf vielen
Ebenen, es gibt die lokale Anbindung in den Städtegruppen
mit unterschiedlichsten Aktionen vor Ort, die Projektarbeit,
die nationalen und internationalen Vernetzungen wie z. B.
im Forum Menschenrechte, es gibt die Lobbyarbeit in der
nationalen Politik, wie z. B. die Erarbeitung von Gesetzesentwürfen
zum Thema Zwangsheirat. Mit Kampagnen und
Aktionen informieren wir die Öffentlichkeit über Menschenrechtsverletzungen
an Frauen weltweit und unterstützen
Selbsthilfeprojekte in Afghanistan, Algerien, Burkina Faso,
Indien, Israel, Kenia, Tansania und in Weißrussland. Unsere
Schwerpunktthemen sind der Kampf gegen Frauenhandel,
weibliche Genitalverstümmelung, Vergewaltigung, Zwangsheirat,
Ehrenmorde, Ausbeutung von Arbeiterinnen und
gegen den sexuellen Missbrauch von Frauen und Mädchen.
In all diesen Feldern engagieren sich unsere Mitfrauen, sei
es hauptberuflich in der Geschäftsstelle in Tübingen oder
ehrenamtlich, so wie ich es tue.
„Früher war alles besser“ diesen Satz hören wir zur Zeit
immer öfter in Deutschland. Oft hören wir auch „der
böse, schlechte Islam“, dort werden Frauen keine Rechte
zugestanden und unser Grundgesetz wird durch die Anerkennung
der Scharia außer Kraft gesetzt. Wir fragen uns,
warum tragen Frauen vermehrt das Kopftuch, warum fügen
sie sich ihrem Schicksal zwangsverheiratet zu werden? Wir
sind erzürnt, teilweise auch hilflos, weil wir nicht wissen,
was wir tun können.
Dabei vergessen wir aber, dass gerade Zwangsheiraten die
europäische, also auch die deutsche, Geschichte geprägt
haben. Wo wären die Staufer, die Hohenzollern oder die
Welfen ohne ihre Heiratspolitik gelandet? Unsere jetzige
europäische Landkarte ist größtenteils durch Eheschließungen
bedingt, nicht, wie meist angenommen, durch Kriege.
Zwangsheiraten hatten damals die gleichen Hintergründe
wie heute, sie dienten dem Zweck der Eigentumsvermehrung
und der Erhaltung eines Clans, eines Hauses, einer
Linie.
Wichtigstes Kriterium für die Heiratspolitik war die Gleichwertigkeit,
die Ebenbürtigkeit des Partners. Auf vier Dinge
wurde bei der Brautschau geachtet: Schönheit, Abstammung,
Erziehung und als wichtigster Punkt: ihr Hab und
Gut. Ehen wurden nicht aus Liebe, sondern durch eiskaltes
Abwägen geschlossen.
In dem Ehebuch von Albrecht von Eyb von 1472 steht:
„Die Ehe ist ein nützes, heilsames Ding, durch die werden
die Land, Felder, Häuser gebauet, gemehret und in Frische
gehalten, manich Streit und Feindschaften hinterleget
und gestillet, gut Freundschaft und Sippe unter fremden
Personen gemacht und das ganze menschliche Geschlecht
verewigt.“
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ihre Bildungschancen gemindert und eine freie Wahl
ihrer Lebensgestaltung verhindert. Weltweit legitimieren
Kinderehen und Zwangsehen sexuellen Missbrauch und die
Ausbeutung von Mädchen.
Die Übergänge zwischen arrangierter und erzwungener
Eheschließung sind oft fließend. Erziehung und Sozialisation
spielen eine große Rolle, wenn es darum geht, ob Mädchen
und junge Frauen einem von den Eltern vorgeschlagenen
Ehemann zustimmen. In vielen Gesellschaften werden
Mädchen schon in jungen Jahren auf die Hochzeit vorbereitet.
Sie werden von Geburt an dazu erzogen, den Wünschen
der Eltern mit Respekt zu begegnen, die Hausarbeit zu
erledigen, die Familienmitglieder zufrieden zu stellen und
sich für das Wohl und die Ehre der Familie aufzuopfern.
Zwangsheirat ist eine Verletzung international anerkannter
Menschenrechtsstandards und kann nicht durch religiöse
oder kulturelle Traditionen gerechtfertigt werden. Im Artikel
16 Absatz 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
von 1948 steht: Eine Ehe darf nur im freien und
vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen
werden.
Im Jahr 2001 erklärten die Vereinten Nationen Zwangsheiraten
zu einer modernen Form der Sklaverei. Darüber
hinaus sind Eheschließungen von Minderjährigen nach
internationalem Recht ungültig.
Die Gründe, warum Eltern ihre Töchter verheiraten, sind
vielschichtig. Neben traditionellen Motiven der Eltern,
nämlich ihre Töchter gut versorgt zu wissen, kann eine
Zwangsheirat in den Augen der Eltern auch dann nötig sein,
wenn sie das Gefühl haben, dass die Tochter ihrem Einfluss
entgleitet. Sie befürchten den Gesichtsverlust vor Bekannten
und Verwandten, falls die unverheiratete Tochter
Freundschaften zu Jungen bzw. Männern eingeht. Außerdem
möchten sie die Verantwortung für die Unberührtheit
der Tochter vor der Ehe nicht länger tragen. Eine schnelle
Heirat entlastet sie von dieser Verantwortung und bekräftigt
gleichzeitig ihren Anspruch auf Verfügungsgewalt, der
die Tochter sich entziehen will. Gerade in der Migration,
wo junge Frauen fremdartigen und als negativ empfundenen
Einflüssen der Gesellschaft ausgesetzt sind, versuchen
Eltern, die Töchter mit einer Heirat auf den richtigen Weg
zurückzuführen. Traditionelle Strukturen begünstigen auf
vielfältige Art und Weise, dass Frauen zwangsverheiratet
werden.
Zwangsheirat ist ein schwerwiegender Einschnitt in das
Leben einer Frau, der weitreichende Konsequenzen für
ihre körperliche und seelische Gesundheit hat. Dies gilt in
besonderem Maße für junge Mädchen. Oftmals müssen
sie ihre Ausbildung abbrechen, und damit wird ihnen jede
Chance auf ein unabhängiges Leben verwehrt. Mädchen
werden zu sexuellen Handlungen mit ihren Ehemännern
gezwungen, und ihre unreifen Körper müssen die Gefahren
wiederholter Schwangerschaften und Geburten aushalten.
Frauen, die sich gegen eine drohende Zwangsheirat
wehren, sind oftmals isoliert. In vielen Ländern gelten
alleinstehende Frauen, die nicht in ihrer Familie leben, als
Prostituierte. Frauen, die sich gegen eine Ehe wehren oder
eine von der Familie ungewünschte Verbindung mit einem
Mann eingehen, werden von ihren Familien verstoßen und
sind somit alleinstehend. Beispiele aus Indien und Bangladesh
zeigen, wie grausam die Strafen sein können. Frauen,
die sich dort nicht verheiraten lassen wollen, werden mit
Säure übergossen, weil sie die Familienehre verletzt haben.
Soziologische Studien haben vielfach gezeigt, wie stark der
Ehrbegriff mit der Familie verknüpft ist, wie sehr sich die
persönliche Ehre des einzelnen Familienmitglieds von der
Familienehre ableitet. Die Frau selbst hat keine Ehre, sie ist
nur die passive Trägerin der Familienehre, die letztlich eine
Männerehre ist. Zum Schutz und zur Wiederherstellung der
Familienehre sind die Männer verpflichtet, sich drastischer
Maßnahmen zu bedienen, die bis zum Ehrenmord gehen
können. Diese Maßnahmen sind zwar gesetzlich verboten,
gesellschaftlich aber im höchsten Maße legitimiert.
Spätestens seit dem 7. Februar, dem Tag an dem Hatun
Sürücü von ihren Brüdern ermordet wurde, sind Verbrechen,
die im Namen der Ehre begangen werden, deutschlandweit
ein Thema, wenn nicht gar das Thema zur Zeit.
Im Folgenden möchte ich eine kurze Einführung in die Problematik
der Ehrverbrechen geben und dabei kurz Formen,
Grundlagen und Verbreitung dieser Verbrechen darstellen.
TERRE DES FEMMES hat sich seit der Gründung 1981
immer wieder mit dem Thema beschäftigt. Allein die
Gründung bezieht sich auf einen Artikel in der „Brigitte“,
der Frauenschicksale im Nahen Osten beschrieb, in dem es
auch um Ehrverbrechen ging.
Am 25. November 2004 begann unsere erstmal auf zwei
Jahre angelegte Kampagne gegen „Verbrechen im Namen
der Ehre“. Die neue Kampagne schließt inhaltlich an die
Kampagne 2002/2003 zum Thema „Zwangsheirat“ an, da
in dieser Zeit weiterer Handlungsbedarf sowie die Notwendigkeit
einer erneuten Thematisierung deutlich wurde.
Wir hoffen, dass unsere Arbeit eine breite Öffentlichkeit
erreicht und ein Problembewusstsein schafft.
Verbrechen im Namen der Ehre geschehen in vielen
Ländern. Nach dem UN-Bevölkerungsbericht 2000 werden
jährlich mindestens 5000 Frauen Opfer sogenannter Ehrenmorde.
Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher
sein, denn nur ein kleiner Prozentsatz der Fälle wird vor
Gericht gebracht und viele dieser Verbrechen werden in
ländlichen, teilweise isolierten Gegenden begangen.
All dies spielt sich aber keineswegs nur in islamischen
Gesellschaften oder in Migrantenfamilien im Westen ab.
Ehrenmorde geschehen weltweit in Ländern wie Pakistan,
Jordanien, Türkei, Iran, Bangladesh, aber auch in Italien,
Ecuador und Brasilien. Verbrechen im Namen der Ehre
haben keinen islamischen Hintergrund. In manchen islamischen
Ländern, z. B. Westafrika, sind Ehrverbrechen
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völlig unbekannt, es gibt auch keine Grundlage für diese im
Koran.
Ein in der Gesellschaft vorherrschender traditioneller
Ehrenkodex bildet die Grundlage von Ehrverbrechen. Zentrales
Element ist die Aufrechterhaltung der Familienehre,
sie muss als höchstes Gut von allen Familienmitgliedern
bewahrt und verteidigt werden, da sie die Stellung einer
Familie in der Gesellschaft definiert.
„Ehrverbrechen sind ein Phänomen traditioneller, patriarchalischer
Gesellschaften, in denen der Mann über der Frau
steht und die Ehre der Familie mehr wert ist als das Leben
einer Frau.“
Typisch für solche Gesellschaftsstrukturen und Moralvorstellungen
sind klar definierte geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen.
Für die Frau ist es die Rolle der Ehefrau,
Mutter und Hausfrau, für den Mann die Rolle des Familienoberhauptes
und Beschützers der weiblichen Familienmitglieder.
Sowohl Männer als auch Frauen stehen im Zusammenhang
mit Ehrverbrechen unter enormem Druck. Wird der Mann
seiner Aufpasser- und Schutzfunktion nicht gerecht, oder
übt er seine Pflicht zur Verteidigung oder Wiederherstellung
der Familienehre nicht aus, gilt er als unmännlich und
wird von der Gesellschaft als nutzlos ausgestoßen. Denn
als Besitzer der Frau ist der Mann auch für deren Verhalten
verantwortlich.
Die Spanne der Verbrechen, die im Namen der Ehre begangen
werden, reicht von Beschimpfungen und Bedrohungen
bis hin zu Misshandlungen und Mord. Zu Ehrverbrechen
im weitesten Sinn zählen auch Steinigung, Zwangsheirat,
Mitgiftmorde, Säureattentate und Witwenverbrennungen.
Diese Verbrechen, deren Opfer fast ausschließlich Frauen
sind, stehen ebenfalls mit traditionellen Vorstellungen von
Schande und Unreinheit in Zusammenhang und dienen der
Kontrolle und Unterdrückung der Frau.
Auslöser oder Gründe für Ehrverbrechen variieren stark.
Ihre Durchführung ist abhängig von der Einstellung der
jeweiligen Familie bzw. der Gemeinschaft.
Ein Verstoß gegen die Familienehre kann ein Gespräch oder
das Anlächeln eines Fremden sein, egal ob gewollt oder
zufällig, das Tragen von „unkeuscher“ Kleidung oder eine
uneheliche Schwangerschaft. Ob diese durch eine außereheliche
Beziehung oder durch Vergewaltigung zustande
kam, ist dabei irrelevant. Oftmals reicht bereits ein Gerücht
über unbeaufsichtigten Kontakt zu einem Mann aus, um die
Familienehre zu verletzen. Denn entscheidend ist letztendlich
der Ruf der Familie in der Gesellschaft.
Besonders erschreckend ist, dass innerhalb einer starken
patriarchalischen Vorstellungswelt schon der Wunsch nach
einem selbstbestimmten Leben oder das Durchsetzen der
eigenen Meinung für Frauen schwere Konsequenzen haben
kann.
In einigen Fällen dient ein Mord nur vordergründig der
Wiederherstellung der Ehre. Tatsächlich sollen andere
Straftaten wie Vergewaltigung oder Inzest vertuscht
werden.
Häufig werden auch Minderjährige mit der Tat beauftragt,
um eine Strafe zu umgehen. (aktuelles Beispiel: Ein 13-
jähriger Junge wollte seine Mutter, die von ihrem neuem
Lebensgefährten schwanger war, erstechen. Sie verlor das
Kind.).
Gleichzeitig besteht kein oder unzureichender staatlicher
Schutz für gefährdete Frauen. In Jordanien etwa werden
Frauen „zu ihrem eigenen Schutz“ ins Gefängnis eingewiesen,
wo sie oft jahrelang verbleiben, aus Furcht vor dem
sicheren Tod, der sie bei einer Rückkehr zu ihrer Familie
erwartet.
Aber auch in Deutschland sind Frauen nicht gegen Gewalt
im Namen der Ehre geschützt. Hier sind es Mädchen und
Frauen in Migrantenfamilien, die von Ehrverbrechen betroffen
sind. Über das genaue Ausmaß der Verbrechen, die in
Deutschland im Namen der Ehre begangen werden, liegt
keine repräsentative Studie vor. Häufig werden innerhalb
von Familien mit Migrationshintergrund die traditionellen
Wert- und Ehrvorstellungen besonders stark hervorgehoben,
um sich von der als befremdlich und unverständlich
empfundenen Umgebung abzugrenzen.
Davon sind vor allem Mädchen und Frauen betroffen, die
vom Kontakt mit der als verwerflich wahrgenommenen
Umwelt abgehalten werden sollen, um die Familienehre
nicht zu gefährden. Dass es dabei zum Zusammenprall
zweier Welten kommt – auf der einen Seite, die der Familie
und ihres Ursprungslandes, auf der anderen Seite, die
der neuen Umgebung, an die sich gerade junge Frauen
gerne anpassen möchten – ist nicht zu vermeiden. Daraus
erwachsen schwere Konflikte, die nicht selten gewaltsam
enden.
Ich möchte einen Fall kurz näher erläutern, da er sich in
Deutschland zugetragen hat und häufig in den Medien
präsent ist.
Hanife Gashi wurde mit 17 Jahren im Kosovo zwangsverheiratet,
sie sah ihren zukünftigen Ehemann Latif am Tag
ihrer Hochzeit. Für Latif war es selbstverständlich, dass er
das Sagen hatte, und dass seine Frau gehorchen und sich
unterordnen musste. Seinen Machtanspruch innerhalb der
Familie setzte Latif mit Zwang, Unterdrückung und körperlicher
Gewalt durch. Er schlägt seine Frau, später auch die
Töchter. Hanife und Latif kamen 1989 nach Deutschland,
die älteste Tochter Ulerika war 2 Jahre alt. Die anderen
drei Töchter wurden in Deutschland geboren. Latif arbei13
tete in einem Installationsbetrieb, Hanife in einer Bäckerei.
Latif weigerte sich zunächst, seiner Frau den Besuch
von Deutschkursen zu erlauben und eine Ausbildung als
Altenpflegerin zu machen. Sie setzte sich jedoch gegen
seinen Willen durch. Hanife Gashi war auf dem Weg sich
zu emanzipieren. Sie zog sogar mit ihren Kindern aus dem
gemeinsamen Haus aus. Vor Gericht wurde ein partielles
Hausverbot für Latif ausgesprochen. Weil sie ohne das Geld
ihres Mannes die Existenz für sich und ihre Töchter nicht
bestreiten konnte, und aus Angst, er könnte ihr und den
Kindern etwas antun, zog Hanife mit den Kindern zurück in
das gemeinsame Haus. Latif durfte ihr Stockwerk eigentlich
nicht mehr betreten. Er fügte sich scheinbar, das Jugendamt
zog sich zurück. Latif war nur noch ein Geduldeter,
er fühlte sich wie ein gedemütigter Patriarch im eigenen
Haus. Nicht religiös, sondern nur sehr traditionell eingestellt,
tötete er seine 16-jährige Tochter Ulerika, weil sie
sich verhalten hatte, wie jedes andere Mädchen in ihrem
Alter: sie schminkte sich, rauchte, trug modische Kleidung
und hatte seit kurzem einen bosnischen Freund. Ihr
Vater, in den traditionellen Ansichten seiner kosovarischen
Heimat verwurzelt, konnte ihr Verhalten nicht akzeptieren
und versuchte immer wieder, mit Gewalt seine Vorstellungen
durchzusetzen. Er nutzte die Abwesenheit der Mutter,
um die drei Schwestern in ihre Zimmer zu sperren und
Ulerika in den Keller zu rufen. Dort erdrosselte er seine
Tochter. Der Vater von Ulerika wurde von einem Tübinger
Gericht zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung
verurteilt. Hanife gab ihrer Tochter im
nachhinein das Versprechen „Du bist nicht umsonst gestorben“
und kämpft heute aktiv gegen Ehrverbrechen.
Verbrechen im Namen der Ehre sind schwerwiegende
Menschenrechtsverletzungen und stehen im Gegensatz zu
den fundamentalen Rechten, wie sie in der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte, dem Internationalen Pakt
über bürgerliche und politische Rechte sowie dem Internationalen
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau (kurz CEDAW) festgelegt sind. Für
alle Unterzeichnerstaaten des CEDAW-Abkommens besteht
die Verpflichtung kulturellen Praktiken entgegenzuwirken,
die Frauen diskriminieren und sie ihrer universellen Rechte
berauben. Seit November 2000 finden „Verbrechen im
Namen der Ehre“ explizit als Menschenrechtsverletzungen
Beachtung.
TERRE DES FEMMES fordert auf internationaler Ebene
die Abschaffung der Gesetze, die das Töten legitimieren.
Ehrverbrechen sollen als Verstöße gegen internationale
Menschenrechtsabkommen öffentlich angeprangert und auf
internationalen Konferenzen und Staatsbesuchen explizit
thematisiert werden. Zudem sollten Organisationen, die
sich vor Ort gegen Ehrverbrechen einsetzen und/oder
Frauen Schutz und Beratung anbieten, besser unterstützt
werden, und es sollten im verstärkten Maße Anlaufstellen
für betroffene Frauen und Mädchen geschaffen werden.
National fordert TERRE DES FEMMES im Rahmen der
Kampagne Präventionsarbeit die verstärkte Sensibilisierung
von Leuten, die mit Betroffenen arbeiten (Standesamt,
Jugendamt, Polizei, Schule) sowie die Schaffung von speziellen
Beratungsangeboten und Zufluchtsstätten. Die Türkei
änderte im Mai 2004 im Zuge der Strafrechtsreform diverse
Regelungen, die zuvor einen Straferlass bei Ehrverbrechen
ermöglicht hatten. Ähnliche Gesetzesänderungen sowie
anlaufende Präventivmaßnahmen werden in Brasilien, Jordanien
und Pakistan erwogen.
Auch die deutsche Bundesregierung reagiert auf die Problematik
und erhebt gerade Statistiken über die Ausmaße von
Zwangsheiraten und Ehrverbrechen auf jeweiliger Landesebene.
All dies sind bereits Schritte in die richtige Richtung,
aber noch lange nicht genug!
Seyran Ates¸ wird Ihnen sicherlich nachher über die aktuelle
Brisanz des Themas berichten.
Ich möchte jetzt noch einen Einblick in die Problematik
der häuslichen Gewalt gewähren. Zuhause. Dort, wo wir
uns sicher fühlen, uns entspannen – da, wo wir gerne sind.
Jedoch wird dieses Zuhause für viele Menschen ein Ort
der Angst, des Schmerzes und der Qual. Häusliche Gewalt
bezeichnet Gewalttaten zwischen Menschen, die in einem
Haushalt zusammenleben. Ein neuer Begriff für diese
Gewalt ist: Gewalt im sozialen Nahraum bzw. in engen
sozialen Beziehungen. Darunter fällt natürlich auch Gewalt
gegen Kinder, ältere Menschen, Behinderte und gegen
Männer. Da ich eine Frauenrechtsorganisation vertrete,
geht es in meinem Beitrag um häusliche Gewalt gegen
Frauen.
Wie unterschiedlich häusliche Gewalt aufgefasst wird,
zeigen folgende Definitionen: Die Juristin M. Schwander
definiert häusliche Gewalt wie folgt: “Häusliche Gewalt
liegt vor, wenn Personen innerhalb einer bestehenden oder
aufgelösten familiären, ehelichen oder eheähnlichen Beziehung
physische, psychische oder sexuelle Gewalt ausüben
oder androhen.“ Die Soziologin A. Büchler betrachtet häusliche
Gewalt „als jede Verletzung der körperlichen oder
seelischen Integrität einer Person, die ihr unter Ausnutzung
eines Machtverhältnisses durch die strukturell stärkere
Person zugefügt wird.“
In Deutschland hat jede vierte Frau körperliche oder sexuelle
Gewalt erlebt. Jährlich fliehen rund 40.000 Frauen mit
ihren Kindern in Frauenhäuser.
Häusliche Gewalt äußert sich nicht nur körperlich (Frauen
werden geschlagen, gestoßen, gebissen, gewürgt, mit
Dingen beworfen oder an den Haaren gezogen und durch
die Wohnung geschleift), sondern auch in sexueller Gewalt
(Frauen werden vergewaltigt, sexuell genötigt, teilweise
auch zur Prostitution gezwungen), psychischer Gewalt
(Frauen werden bedroht, genötigt, beschimpft, eingeschüchtert,
gedemütigt, stets kontrolliert oder sie werden
Opfer von Stalkern). Oftmals wird Frauen der Lohn wegge14
nommen und sie haben kein Geld zur Verfügung. Häusliche
Gewalt hat viele Gesichter.
25% aller Krankschreibungen bei Frauen sind schätzungsweise
bedingt durch häusliche Gewalt. Die jährlichen
Kosten für unsere Solidargemeinschaft betragen 14.8 Milliarden
Euro, darin enthalten sind Kosten für Polizei, Justiz,
ärztliche Behandlungen und Arbeitsausfälle. Weltweit gilt
häusliche Gewalt als eines der größten Gesundheitsrisiken
und rangiert vor Unfällen und Krebserkrankungen.
Die meisten empirischen Untersuchungen unterscheiden
zwischen zwei verschiedenen Arten von Gewalt. Auf der
einen Seite steht ein auf die Situation bezogenes, meist
gewalttätiges Konfliktverhalten – auf der anderen eine
immer wiederkehrende ähnliche Gewalt, wobei eine Person
als die Schwächere betrachtet wird.
Bis zum Jahre 1900 galt noch das Züchtigungsrecht des
Ehemanns gegenüber der Frau und den Kindern. Erst 1993
wurde Gewalt gegen Frauen, die vorher der Kultur und
Privatsphäre zugeordnet wurde, als Menschenrechtsverletzung
anerkannt.
Gerade diese Privatsphäre macht es Frauen schwer, sich
Hilfe zu holen. Eigentlich lieben sie ihren Mann, fühlen sich
daheim wohl und teilweise schämen sie sich, ihre blauen
Flecken beim wahren Namen zu nennen. Oft werden diese
Frauen dermaßen unter Druck gesetzt, dass sie die Gewalt
über eine lange Zeit ertragen, aus Angst, dass es noch
schlimmer wird.
Viele Frauen verzeihen ihren Männern nach dem ersten
Schlag, den viele Männer reuevoll durch Geschenke, besondere
Aufmerksamkeiten oder andere nette Gesten, versuchen
zu überspielen.
Gewalt im häuslichen Bereich ist selten ein einmaliges
Ereignis.
Frauen verändern sich in dieser Situation und durch die
körperlichen Schädigungen auch seelisch stark. Sie verlieren
jegliche eigene Meinung, werden vollkommen passiv,
sie haben ständig Angst, etwas falsch zu machen und
bestraft zu werden. Frauen sehen sich in dieser Situation
als die Schuldige, weil sie irgendeinen kleinen Fehler
begangen haben und verinnerlichen nach und nach, dass
dies Fehlverhalten bestraft werden muss. So schützen sie
über lange Zeit den wahren Täter.
Seit Anfang der 70iger Jahre gibt es Frauenhäuser, oft
der einzige Schutz der Frauen vor Männergewalt. In den
letzten Jahren gab es die Einrichtung des Gewaltschutzgesetzes,
das mit dem Platzverweis Frauenhäuser theoretisch
überflüssig machen sollte. Aber diese Theorie geht nicht
auf: allein im letzten Jahr haben 45.000 Frauen Zuflucht im
Frauenhaus gesucht.
In Kassel, wo ich lebe, wurden im letzten Jahr 398 Frauen
Opfer häuslicher Gewalt. Diese 398 Frauen sind diejenigen,
die den Mut hatten, zur Polizei zu gehen. Die Dunkelziffer,
also die Zahl der Frauen, die diesen Mut (noch) nicht
haben, ist wesentlich höher.
Das Gewaltschutzgesetz ist ein guter Anfang, muss aber
noch in vielen Details überarbeitet werden. Z. B. überwacht
die Polizei nicht dauerhaft die Wohnung der Frau, so dass
der Täter sich durchaus nähern kann.
Durch den Einsatz des Gewaltschutzgesetzes und die
Annahme, dass dadurch Frauenhäuser überflüssig werden,
sowie durch den generellen Sozialabbau werden den
Frauenhäusern Gelder bis zur Existenzgefährdung gekürzt.
Durch die Kürzungen müssen die Frauenhäuser sich
zunehmend selbst um die Finanzierung kümmern, so bleibt
weniger Zeit für die Betreuung der z. T. stark traumatisierten
Frauen.
Auch HartzIV hat zur Verschlechterung der Situation beigetragen:
Wenn dem Frauenhaus keine Finanzierungszusage
vorliegt, können sie eine betroffene Frau aus einem anderen
Landkreis/Bundesland nicht mehr aufnehmen, da sie
ggf. auf den Kosten sitzenbleiben, was in dieser angespannten
Finanzlage nicht mehr machbar ist. Auch der Streit um
die Zuständigkeit, ob nun die Herkunftsgemeinde oder die
aktuelle Standortgemeinde zahlen muss, ist ein absolutes
Unding. So wird vielen Frauen, die ALGII-Empfängerin sind,
Geld erst nach einem Monat gezahlt. Geld, was die Frauenhäuser
nicht haben und auch nicht vorstrecken können.
Unsere nächste Kampagne, die am 25. November 2006
eröffnet wird, wird sich mit dem Thema „Häusliche Gewalt“
beschäftigen. Aktuell läuft bereits eine Kampagne in
Zusammenarbeit mit dem „Body Shop“, welche die kommende
TERRE DES FEMMES-Kampagne unterstützt.
Nichtsdestotrotz fordern wir schon heute:
Unternehmen müssen sich mehr dem Thema „Häusliche
Gewalt“ widmen
Im SGBII muss eine Pflicht zur Finanzierung des
Frauenhausaufenthaltes für die Herkunftsgemeinde
festgeschrieben werden
es muss eine staatliche Pflichtaufgabe werden,
Frauenhäuser ausreichend und pauschal zu finanzieren.
Durch konsequente Schadensersatzverfahren soll sich
der Staat das Geld bei den Tätern wiederholen
Migrantinnen muss unabhängig von ihrem
Aufenthaltsstatus dieselbe Hilfe und Schutzmöglichkeit
gewährleistet werden
Wir hoffen, dass wir mit der kommenden Kampagne eine
bessere Lobby für die Frauenhäuser schaffen können und
es ihnen so ermöglichen, sich wieder um das Wichtigste zu
kümmern – die betroffenen und traumatisierten Frauen!
–•
–•
–•
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15
Rechtliche Aspekte
Vortrag von Seyran Ates¸
Sehr geehrte Damen und Herren,
Zunächst muss ich vorwegnehmen, dass alles, was
ich hier sage, weder dazu dient Türken und Kurden
schlecht zu machen, noch dass es mein Wunsch
ist Vorurteile zu bedienen oder häusliche Gewalt
bei Deutschen zu verharmlosen. Die Liste, was ich
nicht möchte, um als politisch korrekter Mensch
nichts falsch zu machen, könnte meine ganze
Redezeit in Anspruch nehmen – und die ist wahrlich
kurz – und wir müssten das Gespräch sofort
abbrechen. Daher beschränke ich mich auf das
gerade gesagte und komme gleich zum Thema.
16
Theater in Berlin) eine Veranstaltung machen könnten,
um über diese Themen mit dem türkischen Publikum zu
sprechen. Ihm wurde gesagt, dass wir dazu gerne das
Tiyatrom mieten könnten. Die Miete betrüge 200,– Euro.
Anderenorts werden wir als Referentinnen eingeladen und
erhalten ein Honorar. Lassen wir das so stehen, und denken
uns unseren Teil.
Es gibt leider viele Menschen, die Zwangsehen, häusliche
Gewalt in Migrantenfamilien und Ehrenmorde als Ausnahme
betrachtet wissen wollen. Es gibt die Ansicht, dass
in der öffentlichen Debatte die Ausnahme zur Regel und die
Regel zur Ausnahme gemacht wird.
Ich kann das Handlungskonzept der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen nur begrüßen. Wir brauchen schon seit
„vorgestern“ gesicherte Daten. Denn über Daten streiten
wir uns letztendlich und die Forderung nach Daten bremst
die Diskussion.
Sind es viele? Müssen wir so reagieren? Sind es wenige?
Müssen wir anders reagieren? Wieso eigentlich? Wieso
werden Menschenrechtsverletzungen an wenigen als nicht
so gravierend betrachtet? Unabhängig davon, dass Ihnen
die Ohren schlackern würden meine Damen und Herren
Gegner, wenn wir eine Dunkelfeldforschung (Erfassung der
Dunkelziffer) vornehmen würden. Und das ist so sicher wie
das Amen in der Kirche, dass viele meiner Gegnerinnen und
Gegner dann sagen würden: Das alles haben wir gewusst
und uns für Veränderungen eingesetzt.
Warum gibt es eigentlich bisher keine Dunkelfeldforschung
(Untersuchung der Dunkelziffer)? Das ist eine ernste Frage
an die Politik und an die Funktionsträger, die sich mit
diesen Themen hätten beschäftigen sollen und erst jetzt
zaghaft beschäftigen.
Sie sehen, mir geht es nicht schnell genug und mir geht es
nicht deutlich genug voran.
Dem Bundesrat wurde am Freitag, dem 17.06.05, ein
Gesetzesantrag des Landes Berlin vorgelegt, der Zwangsheirat
zu einem eigenen Straftatbestand ernennt. Gratulation.
Lange genug hat es gedauert.
Der Strafrahmen sieht sechs Monate bis fünf Jahre vor,
die Ablauffrist für einen Antrag zur Aufhebung der Ehe soll
im BGB auf drei Jahre erhöht werden. Der Antrag sieht
außerdem vor, dass Minderjährige, die sich rechtmäßig in
Deutschland aufhalten und ins Ausland zwangsverheiratet
werden, eine Rückkehroption erhalten, und Volljährige ihre
Aufenthaltsgenehmigung nicht verlieren, wenn sie innerhalb
von drei Monaten nach Aufhebung der Zwangslage
wieder einreisen.
Das klingt alles schon ganz gut. Aber noch nicht genug, um
sich zurückzulehnen.
Vielen Dank für die Einladung und vielen Dank für Ihr
Interesse die Themen Zwangsheirat, häusliche Gewalt und
Ehrenmord mit mir zu diskutieren. Ich werde aus meiner
Praxis als Anwältin berichten und die rechtlichen Aspekte
darstellen, die sich im Zusammenhang mit den genannten
Themen auftun.
Aber nicht nur die rechtlichen Aspekte sind wichtig. Wir
sprechen über gesellschaftliche Praktiken, Traditionen,
kulturelle Eigenheiten, religiöse Handlungen, oder wie auch
immer wir sie benennen wollen, die nicht nur unter einer
rechtlichen Norm zu subsumieren sind.
Wir müssen uns daher die entscheidene Frage stellen: Wie
geht die betroffene Community mit diesen Themen um?
Ich sage ganz bewusst „die betroffene Community“, da die
Problematik nicht nur auf Türken oder Moslems beschränkt
ist. (WWH).
Nun, es gibt verschiedene Formen auf diese Themen zu
reagieren. Ich spreche jetzt ausdrücklich aus meinen Erfahrungen
als Deutsch-Türkin mit sogenannter muslimischer
Sozialisation.
Bei den genannten Themen handelt es sich um Tabus.
Tabus, die eine patriarchalische Struktur, archaische Traditionen
und religiösen Fanatismus als Grundlage haben. Es
handelt sich um eine Vormachtstellung von Männern, für
die eine Gleichberechtigung der Geschlechter einer Kastration
gleichkommt. Es geht um Ängste, zum Beispiel vor der
Verweichlichung des männlichen Geschlechts. Der Focus ist
die Sexualität. Doch darauf komme ich eventuell später in
der Diskussion ausführlich zu sprechen.
Die Reaktionen sind vielfältig. Wobei sich selbstverständlich
in erster Linie der Mann angegriffen fühlt. Aber wie
bei allen Themen des Feminismus findet solch ein Mann
immer eine Frau, die seine Sicht teilt. Frauen gegen Frauen
aufzubringen ist – politisch gesehen – (ja auch) ein kluger
Schachzug.
Einige Beispiele:
Die türkische Zeitung Hürriyet verfolgt Necla Kelek, Serap
Çileli und mich. Denn in ihren Augen behaupten wir, dass
alle türkischen Frauen zwangsverheiratet und alle türkischen
Männer Sklavenhalter sind. Was am Schlimmsten ist,
ist dass ich öffentlich darüber gesprochen habe, dass viele
muslimische Mädchen, um ihre Jungfräulichkeit zu wahren,
Analverkehr haben.
Ich werde regelrecht verfolgt, als frauenfeindlich bezeichnet
und immer wieder als eine Frau hingestellt, welche die
türkischen Frauen beleidigt hat. Nun gut. Das dazu.
Kürzlich hatte ich mit dem Berliner Sexualtherapeuten
Halis Çiçek die Idee, dass wir im Tiyatrom (ein türkisches
17
Nicht erfasst sind z. B. die sogenannten Imam-Ehen. Dabei
handelt es sich um rechtlich nicht anerkannte Ehen. Sehr
viele Minderjährige, die eben nicht legal verheiratet werden
können, da es sich um Kinder handelt, werden durch eine
religiöse Zeremonie „verheiratet“. Rein rechtlich betrachtet
werden sie in eine eheähnliche Lebensgemeinschaft
gedrängt. Da Kinder ab zwölf Jahren betroffen und viele
Vierzehnjährige darunter sind – deren „Ehe“ später legalisiert
wird, die standesamtliche Trauung erfolgt zum rechtlich
möglichen Zeitpunkt – müssen diese „Ehen“ ebenso
erfasst werden.
Mit der dreijährigen Frist für eine Aufhebung einer Zwangsehe
bin ich ebenso nicht zufrieden. Auch wenn ich solch
eine Frist vor einiger Zeit als ausreichend ansah. Eine
Menschenrechtsverletzung darf meiner Ansicht nach nicht
verjähren. Die Aufhebung sollte also auch nach 30 Jahren
möglich sein.
Jedes Wochenende wird in Deutschland mindestens eine
Frau zwangsverheiratet. Das ist meine Behauptung – nach
vielen Jahrzehnten Erfahrung mit diesem Thema. Grund
genug zu handeln, oder?
Das Thema Zwangsheirat existiert in Deutschland spätestens
seit die heiratsfähigen Kinder der ersten Gastarbeitergeneration
ins Land kamen. Also seit über 40 Jahren.
Aber erst seit ca. drei Jahren wird es ernsthaft debattiert.
Das sollte zu denken geben, da es auch ein Ausdruck der
deutschen Integrationspolitik ist.
Was kann als Zwangsheirat bezeichnet werden?
Wer sich näher mit dem Thema befasst hat, wird bei der
Frage nach der Definition einer Zwangsheirat auf die vermeintliche
Schwierigkeit gestoßen sein, die Zwangsheirat
von der sogenannten arrangierten Ehe abzugrenzen. Offen
gesagt, verwundert mich diese Diskussion. Es heißt nämlich,
dass es sehr schwierig wäre, eine Grenze zu ziehen.
Meiner Ansicht nach gibt es gar kein Problem die Grenze
zu ziehen. Arrangiert ist eine Ehe dann, wenn beide Partner
die echte Möglichkeit hatten „Ja“ oder „Nein“ zu sagen.
Bei der Zwangsheirat hatt mindestens einer der Eheschließenden
nicht die Möglichkeit „Nein“ zu sagen. Meist sind
es die Frauen, denen die Möglichkeit genommen wird, sich
für oder gegen den angehenden Ehepartner zu entscheiden.
Die Wahl treffen andere Personen. Meist beschließen
diese Personen ein „Ja“, obwohl die Braut „Nein“ sagt oder
sagen würde, wenn sie den Mut dazu hätte. Die Abgrenzung
zur arrangierten Ehe ist also gar nicht so schwer.
Was ist dann also Zwangsheirat?
Zwangsheirat bedeutet, dass mindestens einer der Eheschließenden
entgegen dem eigenen und freien Willen der
Heirat zustimmt.
In Artikel 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
von 1948 heißt es:
„Die Ehe darf nur aufgrund der freien und vollen Willensbildung
der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden.“
Es ist also ein Menschenrecht, sich seinen Partner selbst
auszusuchen.
(Die freie Wahl des Partners ist also ein Menschenrecht.)
Wer ist von Zwangsheirat betroffen?
Von Zwangsheirat sind sowohl Frauen als auch Männer
betroffen. Doch die Mehrzahl der zwangsverheirateten
Personen sind Frauen. Das liegt unter anderem an dem
Frauenbild, welches in patriarchalischen Gesellschaften
vorherrscht, die weitverbreitete Ansicht, dass Frauen nicht
selbst über sich bestimmen dürfen und ein Ehemann notwendig
ist, der sie versorgt.
Die Folgen einer Zwangsheirat sind für Männer und Frauen
sehr unterschiedlich. Die wenigen zwangsverheirateten
Männer können sich durch Abwesenheit ihren ehelichen
Pflichten entziehen. Die Frauen haben dazu keine Chance.
Die Männer gehen aus, treffen sich mit ihren Freunden
und haben in der Regel eine Geliebte. Die Mädchen sind
ausgeliefert. Der, meist deutlich ältere, Mann sperrt sein
Eigentum ein und zwingt die Frau immer wieder zum
Geschlechtsverkehr. Die Ehe beginnt oft mit einer Vergewaltigung
in der Hochzeitsnacht. Ein normales Sexualleben
ist kaum denkbar. Die Frau hat den Mann von Anfang an
nicht gewollt, daher ist auch ein gewollter Verkehr selten.
Die Frauen berichten, dass sie sich mit der Zeit lediglich
irgendwie daran gewöhnt haben, oder dass sie, wenn sie
sich immer wieder weigerten Geschlechtsverkehr zu haben,
geschlagen wurden. Nicht selten wird berichtet, dass die
Prügel jahrelang erduldet wurden, da eh niemand zu Hilfe
gekommen wäre. Kaum eine der Frauen hat eigene Lust
empfinden können, bzw. wurde Rücksicht darauf genommen.
Es ist also kaum verwunderlich, wenn Frauen, die sich
aus einer Zwangsehe gerettet haben, kein positives Männerbild
haben.
Das Leben von Frauen soll traditionsgemäß nur in geschlossenen
Räumen stattfinden. Daher haben sie auch nicht
die Möglichkeit Kontakte zu knüpfen oder zu pflegen.
Geschweige denn einen netten Mann kennen zu lernen.
Sexuelle Ausbeutung, Vergewaltigung, permanente häusliche
Gewalt ist an der Tagesordnung. Die Mädchen und
Frauen haben keinen oder nur sehr geringen Einfluss
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darauf, ob und wie oft sie schwanger werden. Ungewollte
Kinder sind fast obligatorisch.
Warum passiert das alles? Wieso zwingen Eltern ihre
Kinder in eine Ehe, obwohl das Kind sagt: „Nein, ich will
nicht, ich mag ihn nicht einmal oder ich kenne ihn doch gar
nicht. Ich habe ihn noch nie gesehen, warum soll ich ihn
heiraten“?
Die Eltern wollen eine gute Versorgung für ihre Kinder.
Sie meinen, einen Ehemann gefunden zu haben, der diese
Verpflichtung übernimmt. Sie sind somit eine Last los.
Die Ehre der Familie muss geschützt werden.
Mit jedem Jahr, das ein Mädchen älter wird, erhöht sich die
Gefahr einer frühen Ehe. Mit Erreichen der geschlechtlichen
Reife – wir wissen, dass Zwangsheiraten in einigen Ländern
sehr viele Jahre vor der Geschlechtsreife stattfinden,
aber in den meisten islamischen Ländern geht es mit der
geschlechtlichen Reife einher – erhöht sich die Angst um
die Jungfräulichkeit der Tochter.
Die Schande eines Verlusts der Jungfräulichkeit vor einer
Eheschließung ist für viele Familien unerträglich. Daher
muss die Tochter schnell verheiratet werden, bevor ein
„Unfall“ passiert. Der „Unfall“ kann auch darin bestehen,
dass das Mädchen mit einem Jungen gesehen wurde. Um
diese Schande wieder zu bereinigen, wird das Kind mit dem
Nächstbesten, der als geeignet erscheint, verheiratet.
Ein junger Mann aus dem Verwandtenkreis ist dabei am
nahe liegendsten. So kann man „unter sich bleiben“. Die
Verwandtenehe ist nach wie vor in kurdischen und türkischen
Kreisen sehr verbreitet. Unter anderem auch aus
ökonomischen Gesichtspunkten. In Deutschland hieß es
früher Acker zu Acker.
Man ist sich einfach nicht sicher, ob die Tochter es bei
einem fremden Ehemann tatsächlich gut haben wird. Bei
einem Cousin gehen die Eltern davon aus, dass er sie
schon deshalb gut behandeln wird, weil er sonst Ärger mit
der gesamten Familie bekommt. Der Clan übt eine vermeintliche
Kontrolle aus. In einigen Fällen mag das auch
stimmen. Dennoch ist zu beobachten, dass die Gewalt
bei Verwandtenehen nicht per se ausbleibt. Manchmal ist
sogar das Gegenteil der Fall. Der geliebte Neffe prügelt und
misshandelt die Tochter nahezu vor den Augen der Familienmitglieder,
ohne Sanktionen fürchten zu müssen, weil
der jungen Frau nicht geglaubt wird, dass der nette Cousin
so brutal sein soll. Nicht selten muss es zu extremen Verletzungen
kommen, bis Familienmitglieder der jungen Frau
helfen. Oftmals muss die junge Frau nach jahrelangen Misshandlungen
in einer Zufluchtseinrichtung Schutz suchen,
weil die eigene Familie, trotz der massiven Verletzungen,
daran festhält, die Ehe aufrechtzuerhalten, um sich nicht
mit den Verwandten zu überwerfen. Es heißt: „Wie kann
ich meinem Bruder oder meiner Schwester sagen, dass sie
einen missratenen Sohn haben. Dann reden die doch nicht
mehr mit mir.“
Insbesondere dann, wenn die Ehe mit dem Verwandten
geschlossen wurde, um ihn nach Deutschland zu holen,
damit er aus einer wirtschaftlichen Misere gerettet wird,
haben die Frauen kaum eine Chance, die Einwilligung der
Eltern zur Scheidung zu bekommen. Solche Rettungsaktionen
dienen der ganzen Familie. Daher wird dem Wunsch
nach einer Scheidung selten vor der Sicherung des Aufenthalts
des Bräutigams zugestimmt. Somit können die Frauen
auch bei der Frage, ob sie sich scheiden lassen wollen,
nicht frei entscheiden. Auch hier wird der freie Wille gebrochen.
Türkische Mädchen und junge Frauen, die nach Deutschland
verkauft werden, sind in einer ähnlichen Situation.
Die Familien in der Türkei, die den Verkauf aus Geldsorgen
heraus tätigten, wollen ihre Töchter um keinen Preis
wiederhaben. Vielmehr wollen sie, dass die Tochter in
Deutschland bleibt, arbeitet und Geld schickt. Es heißt
dann, „In Weiß bist du gegangen, in Weiß kannst du nur
noch zurück kommen“.
Die Frauen müssen die Schläge und Misshandlungen oftmals
zwei bis drei Jahre lang aushalten, bis sie ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht erlangt haben. Ein früherer
Ausbruch aus der brutalen Ehe kann zu einer Abschiebung
führen. Nicht selten halten die sogenannten „an Deutschland
verkauften Bräute“ deswegen die häusliche Gewalt
bewusst aus.
Den Frauen wird eingetrichtert, dass sie abgeschoben
werden, wenn sie es wagen, sich zu trennen. Da sie weder
Land und Leute, noch Recht und Gesetz in Deutschland
kennen, ertragen sie die Gewalt die ihnen angetan wird.
Viele Frauen haben zum Beispiel kein einziges ärztliches
Attest über ihre vielen Verletzungen, da sie dem Arzt selten
die Wahrheit sagen, und sie natürlich nicht wissen, dass
solche Atteste ihnen später nutzen könnten.
Eine Mandantin von mir, die übrigens nicht zwangsverheiratet
wurde, aber von der Heroinsucht ihres Mannes erst in
Deutschland erfuhr, erduldete drei Monate lang die Prügel,
bis sie von der Polizei ins Frauenhaus gebracht wurde. Sie
hatte riesige Angst. Sie dachte, die Polizei nehme sie mit,
um sie abzuschieben, denn das hatte der Ehemann ihr
immer wieder gesagt. „Ich rufe die Polizei, damit die dich
abschieben.“ Im Frauenhaus angekommen, zitterte sie am
ganzen Leib, weil sie dachte, dass sie inhaftiert wäre. Sie
sagte immer wieder, dass sie nicht dort bleiben wolle. Sie
wolle nach Hause, zum prügelnden Mann. Besser als Knast,
dachte sie. Schließlich wurde eine türkisch sprechende
Mitbewohnerin geweckt, um meine Mandantin aufzuklären.
Sie blieb dann drei Tage.
Für die betroffenen Frauen bedeutet die aktuelle zivilrechtliche
und aufenthaltsrechtliche Gesetzeslage eine große
19
Diskrepanz. Während die Zwangsehe nur innerhalb eines
Jahres aufgehoben werden kann, benötigen die betroffenen
Frauen zumeist einen durchgehenden zweijährigen Aufenthalt,
um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu erhalten.
Hier bedarf es dringend einer Regelung im Zuwanderungsgesetz.
Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, sollten sofort
einen Anspruch auf eigenständigen Aufenthalt haben. Den
Ehemännern wiederum müsste der Aufenthalt entzogen
werden, wenn sie die zwangsweise importierte Braut häuslicher
Gewalt aussetzen und verhindern, dass sie sich in die
deutsche Gesellschaft integriert. Aber das nur am Rand, als
eine radikale Forderung von mir. Ich sage damit nicht, dass
diese Männer abgeschoben werden sollen. Nein, sie sollen
am eigenen Leibe erleben, wie es ist, um den Aufenthalt zu
bangen.
Schließlich werden die Frauen zu Müttern. Meist sind es
ungewollte Kinder. Nicht selten sind sie die Folge einer
Vergewaltigung. Bei einigen Frauen werden diese Kinder
zum einzigen Halt. Andere übertragen ihre Frustration über
die ungewollte Ehe und Schwangerschaft auf die Kinder.
Eine Gesellschaft kann nicht ernsthaft ein Interesse daran
haben, solche ungesunden, unglücklichen Familien zu
schaffen und zu fördern.
Ein türkisches oder kurdisches Mädchen, welches die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzt, ist besonders begehrt.
Denn so ist der Nachzug des Ehemannes leichter, und er
kann sofort eine Arbeitserlaubnis bekommen.
Es geschieht aber auch, dass Töchter in die Türkei zwangsverheiratet
werden, um sie vor der unmoralischen und
unsittlichen deutschen Gesellschaft zu retten. Aus Angst sie
könnten hier verkommen, bringen die Familien ihre Töchter
im Urlaub in die Türkei, nehmen ihnen den Pass ab und
verheiraten sie.
Nach sechs Monaten verlieren die Frauen, die zwangsweise
in die Türkei verbracht und dort verheiratet wurden, ihr
Aufenthaltsrecht. Auch hier besteht eine Schieflage im
Gesetz.
Den Spruch „Morgen gehen wir auf eine Hochzeit, es ist
deine Hochzeit“ haben schon viele Mädchen gehört. Für
deutsche Maßstäbe unvorstellbar. Aber Realität im Jahre
2005 in Deutschland, in der Türkei und vielen anderen
Ländern.
Eine Scheidung führt nicht immer zu einer Beruhigung der
Situation. Die Frau gilt nun als Freiwild, sie muss schnell
wieder verheiratet werden, damit der Statusverlust ausgeglichen
wird. Eine zweite oder dritte Zwangsheirat ist
durchaus üblich.
Ein Ehrenmord, weil Widerstand gegen die Zwangsheirat
ausgeübt wurde, ist der schlimmste Fall, welcher aber
leider schon mehrfach vor kam. Menschen, die Zwangsheirat
praktizieren, haben meist einem sehr traditionellen Ehrbegriff.
Danach stellt die sexuelle Reinheit „ihrer“ Frauen
ihre „Ehre“ dar. Eine Frau, die sich scheiden lässt, könnte
mit vielen Männern Sex haben. Das ist untragbar.
Was kann eine Person, die gegen ihren Willen geheiratet
hat, unternehmen?
In § 1314 II Nr. 4 BGB heißt es:
....(2) eine Ehe kann ferner aufgehoben werden, wenn
4. ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch
Drohung bestimmt worden ist; ....
Den Umstand, dass es durch eine Drohung zur Eheschließung
gekommen ist, muss die Person beweisen, die geltend
macht, zu der Ehe gezwungen worden zu sein. Ferner muss
der entsprechende Antrag gemäß § 1317 I BGB innerhalb
eines Jahres gestellt werden.
Diese Jahresfrist ist die Hürde, an der fast sämtliche Fälle
von Zwangsheirat scheitern. Wenn die Frauen zu uns
kommen, ist die Frist meist abgelaufen und wir müssen ein
ganz normales ordentliches Scheidungsverfahren durchführen.
Mitunter wollen die betroffenen Frauen die zwangsweise
Verheiratung aber auch nicht thematisieren, um die
Familie nicht noch mehr zu verärgern.
Zwangsheirat und der Islam?
Die Behauptung, Zwangsheirat sei religiös begründet und
erlaubt, ist schlichtweg falsch. Keine der großen Weltreligionen
wie Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus oder
Buddhismus erlaubt, meines Wissens nach, die Zwangsverheiratung.
Jede dieser Religionen fordert, genau wie das
Gesetz, den eigenen und freien Willen beider Eheleute bei
der Eheschließung. Durch die religöse Argumentation soll
lediglich der Wille gebrochen und eine Menschenrechtsverletzung
legitimiert werden.
Wir dürfen aber nicht unbeachtet lassen, dass Familien,
die Zwangsverheiratung praktizieren, durchaus damit
argumentieren, dass der Islam dies erlauben würde.
Mit Verweis auf die Koranstelle, in der es heißt, dass die
Älteren es besser wüssten, was für die Jüngeren gut sei.
Meine Forderung nach einem eigenen Straftatbestandes
soll unter anderem dazu dienen, Zwangsehen gesellschaftlich
zu ächten und das Unrechtsbewusstsein, insbesondere
der unmittelbar beteiligten Verwandten, zu sensibilisieren.
Jede Person, die an einer Zwangsehe mitgewirkt hat, wird
ihnen erzählen, dass sie doch nichts Schlimmes getan habe.
Das Verheiraten gegen den eigenen Willen ist so verbreitet
und in der Tradition gefestigt, dass eine Auflösung, meiner
Ansicht nach, nur mit einer Bestrafung einhergehen kann.
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Nur so kann den Personen, die ganz selbstverständlich ihre
Töchter verkaufen und nebenan im Zimmer sitzen, während
ihre Töchter vergewaltigt werden, deutlich gemacht
werden, dass sie an dem Mädchen/der Frau eine Straftat
begehen.
Es ist falsch zu denken, dass Traditionen geschützt werden
müssen, wenn Menschenrechte verletzt werden.
Der beste Schutz, den wir betroffenen Frauen und Mädchen
bieten können, sind im Grunde genommen die bereits existierenden
Menschenrechte.
Aber offensichtlich reicht das geschriebene Gesetz, wie in
vielen anderen Bereichen, nicht aus. Meiner Ansicht nach
liegt das auch daran, dass die Zwangsverheiratung nicht im
Strafrecht erscheint.
Ganz wesentlich ist daher die gesellschaftliche Ächtung der
Zwangsehe und den Mädchen Hilfe anzubieten. . Schon im
Vorfeld, am Besten schon in der Schule, müssen Mädchen
aufgeklärt werden. Ihnen müssen Informationen über
Hilfseinrichtungen gegeben werden. Es müssen Untersuchungen
zum Thema vorgenommen, damit wir der Öffentlichkeit
mit Zahlenmaterial vorlegen können.
Häusliche Gewalt in Migrantenfamilien und der
Umgang damit
Wenn wir über häusliche Gewalt in Migrantenfamilien sprechen,
dann stellt sich sofort die Frage: Gibt es überhaupt
einen Unterschied zu deutschen Familien oder gar zum Rest
der Welt? Denn Gewalt ist Gewalt, und häusliche Gewalt
ist überall auf der Welt häusliche Gewalt, in allen Kulturen.
Dennoch stehen viele Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft
diesem Phänomen ratlos gegenüber. Man will ja
auch nichts falsch machen. Man will ja auch niemandem zu
nahe treten. Man weiß ja so wenig von den „Anderen“.
Wie viel wissen Deutsche und Türken überhaupt voneinander?
Worüber darf Kritik geübt werden? Was dürfen wir
als verachtenswerte Tradition bezeichnen, die abgeschafft
werden muss, ohne, dass der eine oder andere als Rassist
beschimpft wird? Sogar die Ahndung von Menschenrechtsverletzungen
kann dazu führen, dass man/frau als Rassist/
Rassistin beschimpft wird.
Wenn der türkische oder kurdische Nachbar seine Frau,
seine Tochter schlägt, darf ich als Deutscher eingreifen?
Oder muss ich es hinnehmen, das Geschrei anhören, weil
„die in ihrer Kultur“ nun mal nach wie vor das Züchtigungsrecht
des Mannes akzeptieren und praktizieren. Niemand
will als Nazi oder Faschist beschimpft werden.
Mit dieser Masche und der leider noch unbewältigten
Vergangenheit Deutschlands haben konservative Türken
es geschafft, die türkische Community von der deutschen
Umwelt fern- und in ihren Augen auch rein zu halten.
Reinhalten, die Ehre der Familie schützen, ist das oberste
Gebot, wenn es um unsere Frauen geht. Ja unsere Frauen.
Dieses Wörtchen „unsere“ müssen Sie wörtlich nehmen.
Alle türkischen/kurdischen Frauen gehören uns allen. Das
ist auch der Grund, warum sich jeder Verwandte und jeder
Nachbar einmischt in die familiären Angelegenheiten der
anderen.
Es kommt nicht selten vor, dass ich bei Scheidungsfällen
nach häuslicher Gewalt Verwandten und Nachbarn gegenüber
Rechenschaft darüber ablegen soll, warum die Frau
nicht zurückkehrt. Ich bekomme mitunter Anrufe oder
Besuche in der Kanzlei: „Wir wollen unsere Tochter wieder
haben“. Aus diesem Sprachgebrauch können Sie entnehmen,
welchen Stellenwert die Betroffene hat. Sie ist nicht
nur der Besitz von Ihren Eltern und dem Ehemann, nein,
sie gehört der ganzen Gemeinschaft, sie ist die Tochter von
allen.
Frauen und Mädchen stellen kein Eigentum dar und sie
sind nicht die Ehre der Familie. Jede Frau ist ein Mensch
mit einer eigenen Identität und Persönlichkeit, niemandes
Eigentum. Weil sie keine Sache ist, die man besitzen kann,
und schon gar nicht die Ehre einer unüberschaubaren
Menge von Menschen. Sie hat eine Ehre für sich selbst.
Der Ehrbegriff im muslimischen Kulturkreis definiert sich
über das Sexualleben der weiblichen Mitglieder. Die Ehre
der Frauen befindet sich zwischen ihren Beinen.
Wir müssen diese Einstellung verurteilen und dagegen
ankämpfen, weil sie menschenverachtend ist und gegen
das Grundrecht aus Art. 1 GG verstößt: die Würde des Menschen
ist unantastbar.
Eigentlich könnten wir es mit der Berufung auf das
Grundrecht belassen. Das genügt aber nicht. Es ist, wie
mit allen anderen Gesetzen auch, nicht jeder sieht sich
diesen verpflichtet. Sonst gäbe es ja auch keine Straftäter.
Erschreckend ist jedoch, dass sich eine Vielzahl der
Türken und Kurden sich deutschen Gesetzen und speziell
dem deutschen Grundgesetz nicht verpflichtet fühlen, in
der Annahme, diese gelten nur für die Deutschen, und sie
hätten ihre eigenen Gesetze, auch wenn sie hier leben.
Wobei ich ausdrücklich darauf hinweisen möchte, dass die
Gesetzeslage in der Türkei bis vor kurzem zwar zu wünschen
übrig ließ, insbesondere die Rechtsprechung, aber
mit Sicherheit nicht so auslegbar war, wie einige Türken
hier in Deutschland Recht und Gesetz betrachten.
Ein Vater, der seine Tochter, meine Mandantin, zwangsverheiratet
hatte, sagte zu mir: „Meine Ehre ist für mich das
Wichtigste. Ich kenne da keine deutschen Gesetze.“
Wir sind gezwungen, auf diese Haltung zu reagieren, und
in gewisser Hinsicht, mit dieser Einstellung zu arbeiten.
Was also kann getan werden, wenn die Betroffene von
Menschen umgeben ist, die Rechenschaft verlangen? Wir
müssen darauf eingehen, wenn auch in Grenzen.
21
Es ist selten, dass ich auf Angehörige stoße, die kooperativ
sind. Sie sehen meine Beauftragung als Angriff auf ihre
Gemeinschaft und die Machtverhältnisse in der Familie .
Dies gilt auch für das Einschalten der Polizei. Es herrscht
die Ansicht, wenn die Polizei eingeschaltet wird, nimmt der
deutsche Staat uns die Kinder weg.
Nicht selten steht die Betroffene daher allein da. Sogar die
eigene Kernfamilie ist gegen sie. So auch die Mutter, die in
der Regel ihr Leben lang selbst häusliche Gewalt erfahren
hat. Daraus resultiert leider bei vielen nicht der Wunsch,
die Tochter solle es besser haben, sondern vielmehr der
Hinweis an die Tochter: „Das ist nun mal das Schicksal von
uns Frauen, wir haben nichts zu sagen. Sei lieber still und
gehorsam, dann wirst du weitestgehend gut behandelt“
Sowohl Mütter als auch Schwiegermütter werden zu Komplizinnen
von schlagenden Söhnen und Schwiegersöhnen.
Die Kombination Zwangsheirat und häusliche Gewalt ist oft
zu beobachten. Diese Familien haben einen sehr eigenen
Gewaltbegriff. Sie sehen in ihrer Haltung keine Gewalt,
sondern einen ganz normalen Umgang mit ihren Töchtern.
Sie werden sogar selten mit Tradition oder Religion
argumentieren. Sie argumentieren eher mit: So ist es nun
Mal, wir als die Älteren wissen es besser. Es existiert kein
Unrechtsbewusstsein bei diesem Thema.
Mütter und Schwiegermütter, die das alles selbst erlebt
haben und ihre Töchter nicht davor bewahren, handeln
überwiegend so, weil sie glauben, dass es für ihre Tochter
das Beste sei. Sie wollen, dass ihre Tochter in der Gemeinschaft
akzeptiert und integriert ist. Die Gemeinschaft ist
patriarchalisch, also muss sich die Tochter dem Patriarchat
unterwerfen. Diese Mütter haben es nie gelernt, sich zu
wehren. Sie haben nur gelernt, dass es Frauen, die sich
wehren sehr schlecht geht. Also sollen sich die Töchter
auch nicht wehren. Die Angst vor dem Tod schwingt immer
mit.
Gerade Frauen, die aus der Türkei importiert wurden und
nur unzureichend Deutsch sprechen, sind der häuslichen
Gewalt besonders stark ausgesetzt. Sie werden ganz
bewusst in den Wohnungen festgehalten. Sie sollen kein
Deutsch lernen, damit sich ihre Augen nicht öffnen, sprich,
sie zu selbständigen Menschen werden, die sich wehren
könnten. Dementsprechend werden die Kinder erzogen und
es ändert sich in vielen Familien tatsächlich nur wenig.
Die mangelhaften Sprachkenntnisse sind misslich und in
keinem Fall akzeptabel. Es ist jedoch auch nicht akzeptabel,
die betroffene Frau dafür verantwortlich zu machen oder
gar, wenn sie um Hilfe bittet, ihr deswegen Vorwürfe zu
machen. Das hilft niemandem.
Die Integrationskurse tragen erste Früchte. Eine Mandantin
von mir, die zwei Tage lang von ihrem Ehemann in der
Wohnung eingeschlossen worden war, durfte diese wieder
verlassen, weil sonst die Hilfe zum Lebensunterhalt gestrichen
worden wäre.
Aus dieser Zustandsbeschreibung heraus stellt sich nun
die Frage, wie mit häuslicher Gewalt in Migrantenfamilien
umgegangen werden soll.
Spontan sage ich: Nicht anders, als mit deutschen Frauen.
Selbstverständlich sollte man die genannten Besonderheiten
im Kopf haben, aber nicht mit der Konsequenz einer
falschen Rücksichtnahme. Die hier herrschenden Gesetze
gelten für alle Nationalitäten. Solange den Männern in der
Migranten-Community nicht verdeutlicht wird, und zwar
mit aller Konsequenz, dass sie den deutschen Gesetzen
genauso unterworfen sind, wie die deutschen Männer,
werden sie so weitermachen. Nicht umsonst sagen einige
Islamisten, Deutschland sei das islamische Land, hier herrsche
Religionsfreiheit und Demokratie, hier kann ich mit
meiner Frau machen, was ich will.
Es muss aber auf einige Besonderheiten Rücksicht genommen
werden, zum Schutz aller Beteiligten. So darf die
extreme Gewaltbereitschaft nicht unterschätzt werden.
Diese wird teilweise von den Frauen selbst unterschätzt.
Wohnungszuweisung problematisch, weil die Frauen
sich nicht geschützt fühlen, hier muss besserer Schutz
gewährleistet werden
Keine oder zu wenig Kenntnis über das
Gewaltschutzgesetz
Antrag nach Gewaltschutzgesetz kann nach hinten
losgehen. Deshalb nicht immer ratsam
Frauen, die aus familiärem Halt kommen, benötigen
adäquaten Ersatz. Mangel in der Sozialarbeit
Polizeibeamte und -Beamtinnen mit
Migrantenhintergrund. Mehr ausbilden.
Bei einem Einsatz sollte immer ein weiblicher
Dolmetscher dabei sein.
Die Statistiken und Studien, die in letzter Zeit veröffentlicht
wurden, zeichnen ein klares Bild einer hohen Gewaltbereitschaft
in Migrantenfamilien. Wir dürfen nicht zulassen, dass
diese Tatsache von fremdenfeindlicher Politik missbraucht
wird. Wir müssen aber das Tabu brechen, wie ich einleitend
sagte, dass hinter jeder Kritik Fremdenfeindlichkeit vermutet
wird. Um den betroffenen Frauen und Männern helfen
zu können, muss das „Gutmenschgedusel“ aufhören.
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22
Was hat ein Mord mit Ehre zu tun?
Vieles habe ich oben schon dazu gesagt.
Der BGH hat in seinem Urteil vom 28.02.04 wiederholt festgestellt,
dass bei einer Gesamtwürdigung, ob ein Tötungsmotiv
objektiv als niedrig einzuschätzen ist, es nicht auf
den kulturellen Hintergrund des Täters ankommt.
Damit wird ein sogenannter Ehrenmord nicht privilegiert.
Ein Mord ist ein Mord.
Was aber bei solchen Prozessen auffällt, ist, dass kaum
eine Nebenklägerin auftritt. Es ist daher in diesem Zusammenhang
über Verbandsklagen zu diskutieren, um eventuellen
NGOs die Möglichkeit zu geben, als Nebenklägerin
aufzutreten.
Die Opfer veralteter Traditionen und menschenverachtender,
patriarchalischer Strukturen werden von der Öffentlichkeit
kaum beachtet. Sie leben und sterben still und
heimlich. Damit muss Schluss sein.
Danke!
23
Strafrechtliche Regelungen
und Problembereiche
Zusammenfassung des Vortrags
von Regina Kalthegener
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ergänzend zu den Ausführungen meiner Kolleginnen
Bianca Wenzel und Seyran Ates befasse ich
mich schwerpunktmäßig mit zwei Deliktsbereichen,
die in der Öffentlich als Synonym für sog.
„Verbrechen im Namen der Ehre“ genannt werden:
der „Zwangsheirat“ und dem „Ehrenmord“. Vorab
ist aber zu klären, was „Verbrechen im Namen der
Ehre“ sind.
24
politisches Handeln in Deutschland notwendig ist, hat sich
nach Veröffentlichung der ersten Zahlen über Gewalt im
familiären Nahbereich, bzw. „häusliche Gewalt“ genannt,
und insbesondere auch über Gewalt gegenüber Migrantinnen
erübrigt. Inzwischen sind sich Fachkreise einig: wir
sehen nur die Spitze des Eisberges. Es wird von einer hohen
Dunkelziffer ausgegangen. Wie bei anderen Verbrechen im
familiären Nahbereich ist Hinsehen statt Wegsehen und
Handeln von Nöten. Zudem dürfen die wenigen, in JURIS
unter den Stichworten zu findenden Gerichtsentscheidungen
nicht den Blick dafür verschließen, dass weitaus mehr
polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren
eingeleitet wurden und bis zur Erhebung der öffentlichen
Anklage statistisch anders erfasst werden, als die Verurteilungen
durch die Strafgerichte.
Nicht erst seit dem gewaltsamen Tod von Frau Hatun
Sürücü in Berlin in diesem Frühjahr haben sich Ermittlungsbehörden
und Justiz in Strafverfahren mit der Begründung
für Gewaltverbrechen zu beschäftigen, es sei wegen der
„Ehre der Familie“ geschehen. Kommt es nach der Anklage
wegen Mordes zu minderer Verurteilung wegen Totschlag,
müssen sich deutsche Gerichte die Kritik gefallen lassen,
„kulturbedingte Taten“ lediglich als Totschlag zu werten
(vgl. Die Zeit 10/2005 „Kulturbedingte „Ehrenmorde“,
http://zeus.zeit.de/text/2005/10/Ehrenmorde.)
Fünf Opfer sog. „Ehrenmorde“ in nur vier Monaten allein in
Berlin. In einem weiteren Fall wurde kürzlich laut Presseberichten
relativiert. Das Landgericht Berlin urteilte, es handele
sich um „eine Beziehungstat, wie sie auch Deutsche
gegen Deutsche verüben“ (taz 31.05.2005). In Kassel wird
seit Anfang Dezember 2004 wegen Verdacht des Ehrenmordes
und des versuchten Ehrenmordes verhandelt.
Genaue Zahlen gibt es nicht. Das Ausmaß von sog. „Verbrechen
im Namen der Ehre“ war bislang nicht festzustellen.
Der Sammelbegriff fehlt in der kriminalstatistischen
Erhebung.
Unter „Verbrechen im Namen der Ehre“ können höchst
unterschiedliche Straftatbestände des deutschen Strafgesetzbuches
(StGB) erfüllt sein, wie die nachfolgende
beispielhafte Auswahl zeigt:
Gefährliche Körperverletzung (§ 224),
Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227),
Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (§ 177),
Menschenraub (§ 234),
Freiheitsberaubung (§ 239),
Nötigung (§ 240),
Zwangsheirat (§ 240 Abs. 4 Nr. 1, 2. Alt. (seit 19. Februar
2005)),
Bedrohung (§ 241),
Totschlag (§ 212) oder
Mord (§ 211).
Verbrechen im Namen der Ehre
„Junge Türkin in Wiesbaden vermutlich von Bruder
erschossen“ Unter dieser Überschrift meldete der Berliner
Tagesspiegel, dass vor ein paar Tagen, am 13. Juni, eine
22-Jährige Türkin vermutlich von ihrem Bruder erschossen
wurde. Nach Polizeiangaben habe die Familie darauf
gedrängt, dass sie die Beziehung zu ihrem deutschen
Verlobten beenden solle. Bei einem Streit soll der Bruder
sie erschossen haben. Zwischenzeitlich hat sich der Bruder
gestellt. Vieles deutet darauf hin, dass es sich um einen
sog. Ehrenmord handelt.
Eine Nachricht aus Tübingen: Am gleichen Tag, dem 13.
Juni 2005, hat vermutlich der 24-jährige Bruder seine
Schwester in Dotzheim erschossen. Die Familienehre galt
als verletzt, weil sie einen deutschen Freund hatte.
In Tecklenburg bei Münster wurde eine 32-jährige schwer
verletzt, ihr ungeborenes Kind getötet. Verdacht besteht
auf versuchten Ehrenmord und Schwangerschaftsabbruch.
Tatort Deutschland: Seit über einem Jahr reißen die Medienberichte
über sog. Ehrenmorde nicht ab, erzählen mutige
Frauen über ihre Zwangsverheiratung oder ihre Flucht aus
patriarchalischen familiären Befehlsstrukturen.
Menschenrechtsverletzungen im Namen der Ehre, auch
Verbrechen im Namen der Ehre genannt, sind strafrechtlich
relevante Taten, die im Namen der Ehre geplant, befohlen
und ausgeführt werden. Der Begriff der Ehre erfährt dabei
eine sehr weite, willkürlich anmutende Auslegung. Wie
bereits von meinen Vorrednerinnen ausgeführt wurde,
symbolisiert in besonderem Maße die sexuelle Integrität
der Frau die Ehre der Familie.
Sammelbegriff „Verbrechen im Namen der Ehre“
In Deutschland fanden bis vor kurzem Straftaten im
familiären Kontext, die als „Verbrechen im Namen der
Ehre“ bezeichnet wurden, kaum Beachtung. Der Sammelbegriff
fällt meistens im Zusammenhang mit den Begriffen:
Zwangsheirat, Familienehre, Ehrenmord und Blutrache.
In der juristischen Datenbank JURIS finden Sie für den
Zeitraum von 1951 bis Anfang März 2005 für rechtskräftig
abgeschlossene Gerichtsverfahren unter dem Begriff
„Familienehre“ 17 Eintragungen, unter „Zwangsheirat“ 14,
„Blutrache“ 13 und unter „Ehrenmord“ keine. Die Mehrheit
der Entscheidungen sind Verwaltungsgerichtsverfahren, die
sich mit Asylanträgen von Frauen und Männern beschäftigten.
Nur in wenigen Ausnahmen mussten sich bisher
Strafgerichte mit dem Begriff der „Familienehre“ auseinandersetzen.
Laufende Gerichtsverfahren, wie in Berlin und
Kassel, sind noch nicht einbezogen, Ermittlungsverfahren
überhaupt nicht. Polizeiliche Statistiken sind in anderen
Datenbanken registriert (vgl. auch www.bka.de). Die Frage,
ob in Anbetracht der wenigen Gerichtsverfahren überhaupt
25
Was aber ist die „Ehre“ im (deutschen) strafrechtlich
relevanten Kontext?
Der Begriff der „Ehre“ spielt im Zusammenhang mit Straftaten
in erster Linie bei den verschiedenen Beleidigungstatbeständen
eine Rolle. Die Ehre ist nach der strafrechtlichen
Kommentierung und Rechtsprechung ein „personales
Rechtsgut, das untrennbar mit dem sozialen Achtungsanspruch
und der persönlichen Würde des individuellen Menschen
verbunden ist“. Nach dem herrschenden normativfaktischen
Ehrbegriff wird weder allein auf die subjektive
Empfindlichkeit noch auf einen empirisch zu bestimmenden
guten Ruf abgestellt. Verletzt werden können Einzelpersonen,
aber auch Angehörige einer Personenmehrheit. Eine
Familienehre ist dagegen nicht durch die §§ 185 ff. StGB
geschützt, da die Familie nach überwiegender juristischer
Meinung kein kooperativer Verband ist, der als Subjekt mit
einheitlicher Willensbildung nach außen handelnd hervortritt;
geschützt sind nur die einzelnen Personen.
Die Verletzung der (vermeintlichen) Familienehre durch das
Verhalten eines Familienmitgliedes, meist des Mädchens
oder der Frau oder einer anderen Person, werden demzufolge
nicht strafrechtlich sanktioniert und rechtfertigen auf
Seiten der (vermeintlich) verletzten Familie oder (bei patriarchalischen
Familienstrukturen) des Familienoberhauptes
schon gar keine Selbstjustiz durch die Anstiftung zu oder
Ausübung von Gewaltverbrechen.
Dementsprechend sind die Taten nicht durch rechtfertigenden
Notstand oder sogar Notwehr gerechtfertigt. Auch
kann das folglich nicht geschützte kollektive Familienehrgefühl
nicht mit den verfassungsmäßig geschützten Rechten
des betroffenen Mädchens oder der Frau abgewogen
werden, wie z. B. deren Recht auf körperliche Unversehrtheit,
Freiheit oder Leben.
Da wir uns im Wesentlichen im politischen Rahmen
momentan mit Zwangsheiraten und Ehrenmorden beschäftigen,
werde ich im Folgenden näher auf diese Straftaten
eingehen.
Zwangsheirat
Zwangsheirat ist eine Menschenrechtsverletzung. Es wird
das Recht der Betroffenen auf selbstbestimmte Heirat,
persönliche Freiheit, körperliche Unversehrtheit und ihre
Menschenwürde verletzt. Zwangsheiraten wurden auf der
Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 als Menschenrechtsverletzungen
verurteilt, und auf der Konferenz „Peking+5“
und in den „Peking+10“-Analysen in diesem Jahr kritisiert.
Gesicherte Zahlen über das Ausmaß in Deutschland gibt es
nicht. Erste Erhebungen für Berlin sprechen von 230 Fällen
im Jahr 2002. Dabei wird von einer wesentlich höheren
Dunkelziffer ausgegangen. Die Kölner Arbeitsgemeinschaft
gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung
(agisra) e.V. wurde in den Jahren 2002 bis 2004 von 87
Frauen wegen Zwangsheirat um Hilfe gebeten. Tendenz
steigend.
Neben einer bundesweit fehlenden, aussagekräftigen Statistik
wirkte sich bisher erschwerend aus, dass es für den
Begriff „Zwangsheirat“ keine klare Definition gab, so die
Antwort der Ministerin für Gesundheit, Soziales, Frauen und
Familie am 5. März 2004 auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten
Ute Koczy von den Grünen (Landtag NRW Drs.
13/5142 v. 08.03.2004). Auch besteht Uneinigkeit darüber,
ob jede „arrangierte“ Ehe eine Zwangsheirat ist.
Sprechen wir von Heirat, meinen wir eine rechtsgültig
geschlossene Ehe. Diese ist – unabhängig von religiösen
Zeremonien – nur rechtsgültig, wenn sie nach den
zivilrechtlichen Regelungen des BGB geschlossen wurde,
oder in einer Weise, wie sie in Deutschland zivilrechtlich
anerkannt werden kann. Eine Ehe nach islamischem Ritus
zum Beispiel ist keine, nach Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz
geschützte Ehe. Dies bestätigte im Rahmen eines Asylverfahrens
das OVG Lüneburg (Beschluss vom 1. 2.2005
– 2 ME 1326/04; BVerwG Urt. v. 22.02.2005 – 1 C 17.03),
Leitsatz: „Eine lediglich nach islamischem Ritus im Inland
geschlossene Ehe zwischen einer Ausländerin und einem
deutschen Staatsangehörigen kann nicht in den Schutzbereich
des Art. 6 I GG einbezogen werden.“
Reden wir von „Zwangsheirat“ und fordern wir deren Strafbarkeit,
dann müssen wir zunächst klären, ob wir sowohl
zivilrechtlich gültige als auch nach religiösem oder traditionellem
Ritus geschlossene und in Deutschland nicht immer
automatisch zivilrechtlich bindende Ehen meinen. Bisherige
Gesetzesinitiativen verwenden den Begriff „Zwangsheirat“
ohne zu konkretisieren, ob auch Ehen nach religiösem oder
sonstigem, traditionellen Ritus darunter subsumierbar sein
sollen. Dies betrifft auch die Entwürfe von Baden-Württemberg
und Berlin. Baden-Württemberg startete 2004 eine
Bundesratsinitiative zur Bekämpfung der Zwangsheirat
(BR Drs. 767/04) und fordert einen eigenständigen, neuen
Straftatbestand. Der Vorschlag sieht einen Strafrahmen
von drei Monaten bis zu fünf Jahren (Vergehen) vor. Berlin
ist einen Schritt weiter gegangen: es war am Freitagabend
(17.6.2005) sogar der „heute“-Redaktion des ZDF eine Meldung
wert: der Berliner Senat hat einen Gesetzesentwurf
gegen Zwangsheirat in den Bundesrat eingebracht. Dieser
wird nun in Fachkommissionen beraten. Der Senat will
für Zwangsehen einen eigenen Straftatbestand einführen
und sie mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf
Jahren ahnden. Vor allem soll es nach Aussage von Justizsenatorin
Karin Schubert (SPD) mehr Opferschutz geben.
26
Straftatbestand Zwangsheirat: § 240 Abs. 4 Nr. 1, 2.
Alt. StGB
Eine Regelungslücke besteht allerdings seit 19. Februar
2005 nicht mehr: seit ungefähr vier Monaten ist Zwangsheirat
als „Nötigung zur Eingehung der Ehe“ gemäß § 240
Abs. 4 Nr. 1, 2. Alt. StGB strafbar:
§ 240. Nötigung (1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit
Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel
zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft.
(2)…
(3)…
(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe
von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders
schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. eine andere Person zu einer sexuellen Handlung oder zur
Eingehung der Ehe nötigt. …
Danach ist ein besonders schwerer Fall der Nötigung
– die Nötigung zur Eingehung der Ehe. Der Strafrahmen,
Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren
(Vergehen), liegt im Eingangsbereich so hoch, wie es nun
Berlin fordert und sogar drei Monate höher, als von Baden-
Württemberg vorgesehen.
An dieser Stelle möchte ich noch klarstellen, dass es sich
rechtlich um ein Vergehen handelt, auch wenn wir es
„Verbrechen“ im Namen der Ehre nennen. Verbrechen sind
Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem
Jahr geahndet werden, wie z.B. ein Mord.
Ist trotz dieser klaren Regelung ein eigenständiger
Paragraph Zwangsheirat notwendig?
Obwohl vielfach von einer besonderen Signalwirkung
gesprochen wird, die von einem eigenständigen Straftatbestand
ausgehen würde, halte ich wegen der geltenden
Regelung in § 240 StGB momentan einen neuen Strafrechtstatbestand
nicht für notwendig. Eine Evaluierung in
zwei Jahren könnte zeigen, was eventuell geändert werden
müsste. Ich möchte aber ein paar Ergänzungsvorschläge
machen:
Die Signalwirkung, dass Zwangsverheiratung strafbar ist,
könnte auch erreicht werden, wenn die Tatbestandsüberschrift
ergänzt wird, wie folgt: „§ 240. Nötigung.; Zwangsheirat“
(ähnlich wie bei Vergewaltigung in § 177 StGB
„Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“).
Für regelungsbedürftig halte ich den Tatbestand des
Verbringens ins Ausland zum Zwecke der Zwangsverheiratung.
Die Geltung des deutschen Strafrechts knüpft an den
Tatort oder die deutsche Staatsangehörigkeit des Täters
bzw. des Opfers an. Oftmals werden potentielle Opfer für
die Zwangsheirat aus Deutschland in das Heimatland ihrer
Familie verbracht. Der Tatort liegt dann im Ausland und der
Täter und/oder das Opfer besitzen keinen deutschen Pass.
Hier wäre eine Ergänzung des § 5 (Auslandstaten gegen
inländische Rechtsgüter) – z. B. unter § 5 Nr. 6a Verschleppung,
Zwangsheirat und politische Verdächtigung – oder
des § 6 (Auslandstaten gegen international geschützte
Rechtsgüter) – z.B. im geänderten § 6 Abs. 1 Nr. 4 StGB als
Ergänzung …, Zwangsheirat (§§ 232 bis 233a, 240 Abs.
4 Nr. 1) – soweit es nach dem Weltrechtsprinzip verfolgbar
ist, d.h. ein in allen Staaten anerkanntes Rechtsgut.
Meine Empfehlung wird momentan auf Ebene der Bundestagsfraktion
von Bündnis 90/Die Grünen im Rahmen der
Vorbereitung einer Gesetzesinitiative geprüft. Da ein Bezug
zu Deutschland hervorgehoben werden soll, wird die Verankerung
in § 5 StGB favorisiert. Nach § 6 StGB wäre eine
Strafverfolgung auch dann möglich, wenn sich weder aus
dem Tatort noch aus der Person des Täters oder des Opfers
ein Bezug zu Deutschland ergibt. Das sei zu weitreichend.
Notwendig halte ich die Aufnahme der Zwangsheirat (§ 240
Abs. 4 Nr. 1, 2. Alt.) in den Katalog der nebenklagefähigen
Straftatbestände (zum Beispiel §§ 395 Abs. 1 Nr. d StPO
ergänzen um § 240 Abs. 4 Nr. 1, 2. Alt. StGB). Es verschafft
der Opferzeugin eine bessere Position im Prozess. Eine
Anwältin oder ein Anwalt können zur aktiven Unterstützung
beigeordnet werden (u.a. umfassende Akteneinsicht, erweitertes
Beweisantragsrecht, Recht zur Stellungnahme und
zum Plädoyer, Möglichkeit Rechtsmittel einzulegen). Opferbeistand
bei richterlicher Vernehmung (§ 68b StPO) oder
im Verfahren selbst (§ 406f StPO) allein reicht nicht immer
aus. Zwar kann hier auch Akteneinsicht gewährt werden (§
406f Abs. 1 S. 1 StPO), doch dies wird nur in wenigen Ausnahmen
gewährt, wenn ein berechtigtes Interesse besteht.
Ob mit eigenständigem Straftatbestand oder bei Beibehalten
der Regelung unter Nötigung: insgesamt rechne ich
nicht mit vielen Strafanzeigen von Seiten der Opfer. Sie
würden sich damit gegen die eigene Familie stellen. Aus
verschiedenen Gesprächen schließe ich, dass es ein sehr
schwerwiegender Schritt für sie wäre. Da Zwangsheirat
ein Offizialdelikt ist, müsste eine Anzeige – z.B. von einer
dritten Person gestellt – von Amts wegen bei Kenntnisnahme
durch die Staatsanwaltschaft erfolgen. Hier stellt
sich aber das Problem, dass alle Beteiligten – meist sind
es nahe Familienangehörige, die entscheiden – wie auch
die Opferzeugin von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht
nach § 55 StPO Gebrauch machen könnten. (Eigene Gefahr
der Strafbarkeit, Angehörige.) Erhebliche Beweisprobleme
wären die Folge.
Ehrenmord
Einen „Ehrenmord“ gibt es per Definition nicht im Strafgesetzbuch.
Mord (§ 211) ist die Tötung eines Menschen
unter besonderen tatbestandlichen Voraussetzungen. In
Abgrenzung zum Totschlag (§ 212) führt das Tatmotiv
(Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebes, Habgier,
27
sonstige niedrige Beweggründe) und/oder die Tatausführung
(heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen
Mitteln, Verdeckung einer anderen Straftat) bei der Straftat
zur Zuordnung als Mord. Tötung zur Herstellung der
Familienehre kann zur Bewertung als Mord „aus niedrigen
Beweggründen“ führen, ebenso wie die Durchsetzung eines
absoluten Machtwillens gegenüber Familienangehörigen
oder übersteigertes Ehrgefühl oder Blutrache.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht von „niedrigen
Beweggründen“ aus, wenn Motive einer Tat nach allgemeiner
sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf
sittlich tiefster Stufe stehen. Dabei werden die Tat und die
Motive des Täters insgesamt gewürdigt.
Bei Migranten können Anschauungen in ihrer Heimat eine
Rolle spielen. Daher kam es in Einzelfällen bei einer Tötung
aus solchen Wertvorstellungen, z. B. aus verletzter Familienehre
oder aus Blutrache, bei Tätern, die von einer solchen
Vorstellungswelt durchdrungen sind, nicht zur Bewertung
als „niedrig“ durch das erkennende Strafgericht. Abweichende
Wertvorstellungen entlasteten den Täter, wenn sie
in dem Kulturkreis, dem er angehört, prägend und nicht
etwa auch dort als Straftat (unabhängig von der zu erwartenden
Strafhöhe) geächtet sind. Im Einzelfall kommt es
darauf an, wie lange und in welchem Umfang der Täter
Gelegenheit hatte, sich mit den in der Bundesrepublik
geltenden Maßstäben vertraut zu machen. Insbesondere
bei einem schon länger in Deutschland lebenden Täter
kann ein im Heimatland hoch bewerteter „Ehrbegriff“ nicht
strafmildernd entgegen gehalten werden. Abwegig ist nach
der strafrechtlichen Kommentierung die Berufung auf eine
im eigenen Kulturkreis im Heimatland besonders ausgeprägte
Geringschätzung von Frauen; auf ein traditionell
reklamiertes, aber der Rechtsordnung widersprechendes
unumschränktes Herrschaftsrecht des Familienoberhauptes
oder auf Gehorsamspflichten seit langem in der Bundesrepublik
lebender Personen gegenüber Familien- und Clan-
Angehörigen im Ausland. Auch das bloße Beharren auf eine
überholte und im Heimatland nicht (mehr) mehrheitsfähige
Sexualmoral (vorehelicher Geschlechtsverkehr, Untreue von
Frauen) kann eine Tötung zum Zweck ihrer Durchsetzung in
der Regel nicht im milderen Licht erscheinen lassen.
Tätertaktik und Beweisproblematik
Dass die Tötung wegen angeblicher Ehrverletzung in
Deutschland (aber auch in der Türkei – es sollte zum 1.
Juni 2005 eine entsprechende Gesetzesänderung in Kraft
getreten sein) ein Verbrechen ist, wissen die Anstifter zur
Tat und die Täter. Nicht ohne Grund werden deshalb, in
sich immer wieder ähnelnden Fallkonstellationen, unter
18 Jahre alte männliche Familienangehörige zur Tat
bestimmt oder melden sich „freiwillig“. Der zu erwartende
Strafrahmen ist bei Jugendlichen deutlich niedriger (bis
zehn Jahre), als bei Erwachsenen. Die Gefahr, bei einer
Verurteilung von mehr als drei Jahren Freiheitsentzug aus
Deutschland zurück in das Heimatland ausgewiesen zu
werden, wird billigend in Kauf genommen. Zudem besitzen
enge Familienangehörige, die als Zeugen vor Gericht aussagen
sollen, ein Zeugnisverweigerungsrecht und müssen
sich nicht zu den Tatumständen äußern. Dies erschwert die
Beweisführung in besonderem Maße, da Täter, Opfer und
Zeugen häufig aus einem familiären Umfeld stammen, mit
der Folge, dass Tatabläufe mit den Methoden modernster
Kriminaltechnik mit hoher Wahrscheinlichkeit nachweisbar,
die tatsächlichen Hintergründe der Tat und die Motive der
Täter aber kaum feststellbar sind.
Opferzeuginnen, die Anschläge überlebt haben, leiden nicht
selten unter Gewissenskonflikten, haben Angst, durch ihre
Aussage der Familie noch – wie sie meinen – mehr Schande
anzutun und sind deshalb kaum bereit, gegen Täter aus
dem eigenen Familienclan auszusagen.
Totschlag statt Mord
Die Abstufung von Mord zu Totschlag kann unterschiedliche
Gründe haben. Grundsätzlich muss dem Täter die Tat
nachgewiesen werden. Der Täter hat das Recht, im staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsverfahren und im Strafprozess
zu schweigen. Können die einzelnen Tatbestandsmerkmale
und/oder die Schuld des Täters (Vorsatz hinsichtlich
der Mordmerkmale) nicht nachgewiesen werden, kommt
es nicht zur Verurteilung wegen Mordes. Das schließt nicht
automatisch das Vorliegen anderer Straftaten aus (Totschlag,
unerlaubter Waffenbesitz, gefährliche Körperverletzung
u. ä.). War es bisher nicht auszuschließen, dass bei
der Bewertung einer Tat Kulturrelativismus eine besonders
mildernde Rolle gespielt hat, ist mittlerweile eine Änderung
der Rechtsprechung zu verzeichnen.
Der Bundesgerichtshof setzt zunehmend strenge Maßstäbe,
die in den letzten Jahren vermehrt zur Aufhebung
milderer Landgerichtsurteile führten (vgl. u.a. BGH, Urt. v.
28.1.2004 – 2 StR 452/03 (JURIS); BGH, Urt. v. 2.2.2000
– 2 StR 550/99 (JURIS); BGH, Beschluss v. 9.2.2000 – 5
StR 616/99 (Totschlag durch Unterlassen).
Schutz der Opferzeugin und anderer Zeugen
Opferzeuginnen, die einen Anschlag überleben, aber auch
Zeugen, die gegen potentielle Täter aussagen wollen,
können während der laufenden Verfahren mit dem Tode
bedroht sein. Bei entsprechender Einschätzung der Gefährdungslage
von Seiten der Polizei – in der Regel auf Ebene
eines Landeskriminalamtes – erhalten die gefährdeten
Personen Personenschutz oder werden in ein Zeugenschutzprogramm
aufgenommen. Alle notwendigen Behördenvorgänge
(Ausländeramt, Einwohnermeldeamt, Jugendamt,
ärztliche Gutachten u. ä.) werden von polizeilicher
Seite geregelt. Sofern es notwendig sein sollte, lebt die
Person unter einem anderen Namen, einer neuen Identität.
Sperrvermerke gegen die Weitergabe gespeicherter
Daten der Person an Dritte werden eingerichtet. Dies
28
schließt aber nicht aus, dass es doch zu Pannen kommen
kann. Schwachstellen ergeben sich immer mal wieder z.B.
bei der Weitergabe von Daten zwischen verschiedenen
Behörden, bei Krankenkassen, Sozialämtern, sei es bedingt
durch Personalwechsel, namentlicher Kostenabrechnung
(statt wie in einzelnen Bundesländern polizeilich mit Zahlen
verschlüsselte Vorgänge) für die Unterbringung einer Opferzeugin.
Leichtsinniges Verhalten der Opferzeugin selbst
ist auch nicht auszuschließen (z. B. Kontoabbuchungen oder
Telefonat ohne Unterdrückung der Telefonnummer beim
Gesprächsteilnehmer). Insgesamt ist allen Beteiligten klar:
Einen absoluten Schutz gibt es nicht.
Das Leben im Zeugenschutzprogramm ist – auch wenn
die Opferzeugin fürsorglich betreut wird – außerordentlich
anstrengend und belastend. Von einem Tag auf den anderen
wird die Betroffene aus ihrer gewohnten Umgebung
heraus genommen. Hinzu kommt die Unsicherheit, wie es
weitergehen soll, ob eine Rückkehr zur Familie möglich sein
wird, ob ihr verziehen wird oder ob sogar der Neubeginn in
einem anderen Land notwendig ist. Nicht selten plagen die
Betroffenen Schuldgefühle und Suizidgedanken.
Opferbeistand oder Nebenklage
Bereits im Ermittlungsverfahren und später im Strafverfahren
kann zur Unterstützung der Opferzeugin ein anwaltlicher
Beistand (§ 406f StPO bzw. § 406g StPO bei nebenklageberechtigten
Verletzten) beigeordnet werden. Je nach
Straftat besteht die Möglichkeit der Nebenklage. (§§ 395
ff. StPO)
Strafprozessual bieten sich der Antrag auf audio-visuelle
Vernehmung (kurz: Videovernehmung, § 247a StPO),
zudem Ausschluss der Öffentlichkeit während der Vernehmung
und eventuell sogar der Ausschluss des Angeklagten
(§ 247 StPO) zum Schutz für die Opferzeugin an.
Aber was geschieht, wenn ein Prozess einmal beendet ist?
Vieles ist dann ungewiss. In Berlin wurde angekündigt,
dass mehr für den Opferschutz getan werden soll. Bei den
leeren Haushaltskassen bleibt es spannend, wie das Vorhaben
praktisch umgesetzt werden kann.
Rolle des Strafrechts
Abschließend gestatten Sie mir eine Anmerkung: im
Zusammenhang mit Zwangsheirat und Ehrenmord wird
dem Strafrecht eine wichtige Rolle zugesprochen. Mit
der Bestrafung soll gezeigt werden, dass Verbrechen im
„Namen der Ehre“ in Deutschland nicht toleriert werden
und verboten sind. Aber kann dies auch zum Umdenken
bewegen? In den Köpfen muss sich etwas bewegen. Das
Frauenbild muss sich ändern. Zehn Jahre sind seit der
Wiener Menschenrechtskonferenz 1994 und der Weltfrauenkonferenz
in Peking 1995 vergangen, und es ist trotz
aller Bemühungen der Regierungen noch nicht ausreichend
gelungen, Menschenrechte von Frauen als selbstverständliche,
unteilbare Rechte der eigenen Bevölkerung zu vermitteln.
Aktuelle Berichte von Zwangsheiraten und Ehrenmorden
belegen das. Wie lang das dauern kann, wissen
wir aus eigener Erfahrung. Es reicht nicht, ein Gesetz hoch
zu halten. Wie lange hat es in Deutschland gedauert, bis
die Vergewaltigung in der Ehe strafbar wurde, häusliche
Gewalt nicht länger dem Privatbereich zugesprochen und
der öffentlichen Strafverfolgung entzogen war?
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
29
Kriseneinrichtung für junge
Migrantinnen PAPATYA
Vortrag von Corinna Ter-Nedden, Dipl. psych.
Hilfe – Beratung – Zuflucht
Erfahrungen aus der Praxis: Papatya
Ich spreche vor dem Hintergrund der Kriseneinrichtung
PAPATYA in Berlin. Papatya besteht seit
1986 und bietet Mädchen Schutz, die vor familiärer
Gewalt fliehen und nach ihrer Flucht eine geheime
Adresse brauchen.
Pro Jahr kommen 60-70 Mädchen im Alter
zwischen 13 und 21 Jahren.
30
Gewalt im Namen der Ehre – ein Begriff hilft
Beschreiben
In Berlin gibt es einen Mädchennotdienst mit öffentlicher
Adresse. Auch dorthin wenden sich viele junge Migrantinnen.
Wer aber zu PAPATYA kommt, ist überzeugt davon,
den Schutz der geheimen Adresse zu brauchen. Und dieser
Schutz ist in der Regel dann nötig, wenn die Regeln der
Familienehre eine große Rolle in der Familie spielen.
Manchmal sind die Zwänge der Ehre schon allein der
Anlass, aus der Familie zu fliehen. Am deutlichsten wird das
sicher bei Zwangsheiraten.
Zum Beispiel: Serap, 17, bisher die Lieblingstochter des
Vaters, soll gegen ihren Willen verlobt werden. Sie wehrt
sich, erzählt den Eltern sogar, dass sie einen Freund hat,
den sie später heiraten möchte. Daraufhin wird sie massiv
geschlagen und eingesperrt, darf nur noch zur Schule und
flieht schließlich.
Gelegentlich hat der Grund, aus dem jemand wegläuft,
aber auch gar nichts mit der Ehre zu tun. Wir machen
Sozialarbeit, das heißt, wir sehen die Kinder von psychisch
kranken Müttern oder die Töchter von Alkoholikern. Wenn
diese sich allerdings aus belastenden Familiensituationen
befreien möchten und weglaufen, tritt die Verletzung der
Familienehre gegenüber den anderen Konflikten in den
Vordergrund.
Zum Beispiel: Yeliz ist 15 Jahre alt, türkisch-kurdischer
Herkunft, in Berlin geboren und aufgewachsen.
Ihre Eltern sind geschieden, leben aber weiterhin in einer
Wohnung. Der Vater hat in der Türkei wieder geheiratet
und die neue Frau nach Berlin in die Familienwohnung
geholt. Yeliz’ Mutter wurde vor vollendete Tatsachen
gestellt und vom Vater beschimpft und geschlagen, als sie
protestierte. Der Vater schlägt Yeliz, seit sie 7 Jahre alt ist,
wenn er schlecht gelaunt oder alkoholisiert ist, sie erlebt
ihn als unberechenbar.
„Er und mein Opa (Vater der Mutter) hatten sich extrem
zerstritten, weil er das Appartement in der Türkei, das
meinem Opa gehört, für sich allein haben wollte. Mein Opa
war damit nicht einverstanden. Er ließ seine Wut an uns
aus, er schlug er uns täglich mit Gürtel, Holzstock, Eisenstock
und drohte mit einem Messer. Oft war er betrunken.
Einmal, als er betrunken war, hielt er mir eine Pistole an
meinen Kopf.“
Auch die Mutter wird schon immer geschlagen. Vor einem
Monat hat der Vater die Mutter so verprügelt, dass das
Mädchen die Polizei holte. Er wurde mitgenommen, nach
kurzer Zeit aber wieder auf freien Fuß gesetzt.
Yeliz’ Vater hat eine dicke Polizeiakte, da er sich auch mit
Fremden prügelt. Yeliz findet: „Mein Vater redet immer von
seiner Ehre. Wenn er eine Ehre hat, dann verlässt er diese
Anfangs waren das vor allem Mädchen türkischer Herkunft.
Noch heute bilden sie mit etwa 60% die größte Gruppe.
Wir nehmen aber auch Mädchen anderer Herkunft auf.
So kommen etwa 10% aus dem Libanon, weitere 10% aus
Ex-Jugoslawien, andere aus Nigeria, Ghana, Pakistan oder
Griechenland. Außerdem nehmen wir Mädchen aus binationalen
Familien auf. Wir haben acht Plätze.
Da wir die einzige Kriseneinrichtung dieser Art sind,
kommen zunehmend Mädchen aus der ganzen Bundesrepublik
zu uns. Über einen Sponsor haben wir ein neuntes
Notbett für sie eingerichtet.
Ansonsten wird Papatya pauschal vom Berliner Senat
finanziert.
Über 80% der Mädchen, die zu uns kommen, sind misshandelt
worden (und damit ist nicht eine einzelne Ohrfeige
gemeint), 25% sind von sexueller Gewalt betroffen, etwa
30% von Zwangsheirat. Zwangsheiraten sind für uns ein
Kinderschutzthema, denn es sind überwiegend Minderjährige
betroffen. Meist handelt es sich bei uns nicht um
standesamtlich geschlossene Ehen, sondern um religiöse
oder soziale Zeremonien.
Wir arbeiten rund um die Uhr als Team von Frauen unterschiedlicher
Herkunft (türkisch, kurdisch und deutsch), acht
Frauen teilen sich sechs Stellen. Unser Ziel ist es, für jedes
Mädchen individuell eine neue Lebensperspektive zu finden
– weiterhin in der Familie oder auf Dauer getrennt von ihr.
Wir haben bisher über 1200 Mädchen und junge Frauen
betreut. Im Durchschnitt bleiben sie sechs Wochen.
Mindestens noch einmal so viele haben wir am Telefon
beraten, obwohl Telefonberatung offiziell kein Teil unserer
Arbeit ist.
Seit letztem Jahr bieten wir auch Beratung im Internet an,
weil wir glauben, dass wir damit überregional Zugang zu
Mädchen bekommen, die sonst kaum Außenkontakte haben
dürfen. Die Mittel dafür werden von einer Stiftung gestellt.
Adresse und Telefonnummer Papatyas sind geheim, wir
kooperieren aber von Anfang an eng mit dem Berliner
Jugendnotdienst, über den auch unsere Außenkontakte
laufen.
Seit 1997 haben wir im Rahmen des Daphne-Programms
der Europäischen Kommission in mehreren europäischen
Ländern die Schutzangebote für junge Migrantinnen untersucht.
Seit Anfang 2004 sind wir Teil eines europäischen
Projekts gegen Gewalt im Namen der Ehre im Rahmen des
EU Programms gegen Armut und soziale Ausgrenzung und
haben gemeinsam mit TERRE DES FEMMES ein deutsches
Netzwerk gegründet.
31
Frau und kommt zu uns, und dann soll er keinen Alkohol
trinken und uns nicht mehr schlagen.“
Sie setzt seinem Ehrbegriff also ihren eigenen entgegen.
Sie befürchtet, dass der Vater jetzt die gesamte Familie
mobilisieren wird, um sie zu suchen. Sollte sie gefunden
werden, so befürchtet sie, schnellstmöglich verheiratet zu
werden.
Tatsächlich erscheinen kurz nach ihrer Aufnahme Mutter,
Bruder und Tante und beschimpfen Yeliz und „die Deutschen“
im Jugendnotdienst aufs Übelste. Sie treten so
aggressiv auf, dass die Polizei gerufen werden muss.
Was ist besonders an der Situation der Frauen und Mädchen,
die von Gewalt im Namen der Ehre betroffen sind?
Gewalt gegen Kinder und häusliche Gewalt sind keine
Eigenheiten von Migrantenfamilien. Ein Vater mit einem
hohen Gewaltpotenzial, der dazu noch trinkt, eine Mutter,
die sich nicht wehrt, Streit um Eigentum – das könnte
in einer alteingesessenen deutschen Familie genauso
ablaufen. Yeliz Situation wird dadurch besonders, dass ihr
Weglaufen die vehemente Reaktionen aller Familienmitglieder
hervorruft und zum eigentlichen Konflikt wird. Und
das ist eine Folge des Ehrenkodexes. Für manche Familien
ist es eine Verletzung ihrer Ehre, wenn die Nachbarn das
Mädchen auf der Straße mit einem Jungen haben sprechen
sehen, für andere bedeutet erst eine uneheliche Schwangerschaft
die Katastrophe. Sollte Yeliz’ Weglaufen aber
bekannt werden, so ist das soziale Ansehen der gesamten
Familie in akuter Gefahr.
Anders als beim eifersüchtigen Ehemann, der seine
Frau ins Frauenhaus prügelt, fühlen sich hier viele
Personen betroffen. Die Ehrverletzung ist eine
kollektive Wunde, keine individuelle. Besonders die
Männlichkeit der Väter, Brüder und Onkel wird dadurch
beschädigt, aber auch Mütter, Schwestern und Tanten
fürchten die Schande. Mütter werden meist für das
„Fehlverhalten“ ihrer Töchter verantwortlich gemacht,
die Heiratschancen der Schwestern sinken, wenn die
Ehre nicht wiederhergestellt wird. Entsprechend werden
alle Familienmitglieder versuchen, die Mädchen mit
allen Mitteln zur Rückkehr zu bewegen: intensive Suche,
massive Drohungen, emotionale Erpressung, große
Versprechungen, Anzeigen bei der Polizei (z. B: ein
Mädchen habe Geld oder Schmuck gestohlen) etc.
Der Brief eines Vaters sei ein Beispiel dafür, wie
psychischer Druck ausgeübt wird:
„Ich, dein Vater, spreche zu dir. Ich war wegen dir im
Krankenhaus, ich verstehe das nicht. Willst du mich vor
allen blamieren? Blamiere mich nicht bei allen Leuten.
Du weißt, deine Mutter und dein Vater sind sehr krank,
du weißt, daß wir beide Diabetes haben.
Tu uns das nicht an! ..... Ich, dein Papa, kann nicht
mehr arbeiten gehen, ich und Mama überlegen die
ganze Zeit, warum? Du hast alles bekommen, was du
willst, wir haben dir immer Geld gegeben... Wir können
nicht schlafen, seit du weg bist. Ich gehe nicht mehr
aus der Wohnung raus... Komm nach Hause, lass die
Leute nicht über uns lachen, wir werden lächerlich bei
den Leuten. ... Du musst mich sehen, ich leide nur noch,
bitte ruf wenigstens an, damit wir reden können.“
Alle Familienmitglieder sind darauf bedacht, nichts nach
außen dringen zu lassen. Frauen und Mädchen müssen
mit Sanktionen rechnen, wenn sie mit Dritten über ihre
Situation sprechen. In der Migrationssituation wird
ihnen zusätzlich häufig unterstellt, sie verrieten ihre
Kultur und Tradition und wollten „deutsch“ leben – es
wird also ein Loyalitätskonflikt konstruiert.
Auch Helfer/Berater sind bedroht, wenn sie der
Unterstützung verdächtigt werden – Yeliz’ Familie
bedroht den Jugendnotdienst. Den Mädchen/Frauen
wird häufig keine eigene Entschlusskraft zugestanden,
sondern sie werden als von Dritten verführt angesehen.
Freundinnen und mögliche männliche Partner geraten
zuerst in die Schusslinie. Aber auch Sozialarbeiterinnen
im Jugendamt, Rechtsanwältinnen oder Lehrerinnen
können verantwortlich gemacht und entsprechend
massiv bedroht werden. Die Gefährdung der
Helferinnen ist real und schränkt manchmal deren
Hilfsmöglichkeiten ein.
Wie kann man nun potenziellen Opfern von Gewalt im
Namen der Ehre gerecht werden?
Sicherheit ist die Grundvorausssetzung für alle anderen
Interventionen. Nur wer sich sicher fühlt, kann reden und
sich über seine Perspektive Gedanken machen.
Für die Beratung bedeutet das, dass sie auch anonym
möglich sein muß. Oft haben junge Frauen massiv Angst,
dass ihre Familie erfahren könnte, dass sie sich an Dritte
gewandt haben.
Wie schwierig allein die Gewährleistung der Sicherheit
ist, welch erhebliches Ausmaß an Kooperation sie braucht
und welche Stolpersteine es dabei geben kann, will ich an
einem Beispiel verdeutlichen.
Sebnems Fluchtversuch
Sie kommt aus einem anderen Bundesland, hat sich von
einer Mädchenberatungsstelle vermitteln lassen, ist gerade
18 geworden.
Die Vorgeschichte
Sebnem wird in der Türkei geboren. Ihre Mutter hat in
Deutschland gelebt, ist aber dann mit ihren Eltern in die
Türkei zurückgekehrt.
Sebnems Vater ist in der Türkei aufgewachsen, während
sein Vater in Deutschland lebt. Dieser Großvater ist in dritter
Ehe verheiratet. Sebnems Vater ist als Jugendlicher von
zu Hause weggelaufen.
–•
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–•
32
Zwischen Vater und Großvater gibt es keinen Kontakt. Auch
zwischen Sebnems Eltern gab es schon immer viel Streit,
bis ihre Mutter schließlich die Familie verlassen hat. Die
heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Familie der
Mutter und dem Vater eskalierten in einer Schießerei mit
Verletzten, die Sebnem miterlebt hat. Der Vater hat auf
den jüngeren Bruder der Mutter geschossen. Sebnem kam
mit ihrem vier Jahre jüngeren Bruder zu einem Bruder des
Vaters. In den folgenden Kämpfen um das Sorgerecht hat
sie auf Druck des Vaters vor Gericht ausgesagt, sie wolle
bei ihm leben. Sebnem hat den Kontakt zu ihrer Mutter
danach verloren.
Der Vater ging nach Deutschland und holte die beiden
Kinder nach. Sebnems Außenkontakte wurden vom Vater
auf die Schule beschränkt, sie, damals zwölf Jahre alt, war
für den Haushalt verantwortlich. Sobald sie dagegen aufbegehrte,
wurde sie geschlagen. Nur mit ihrem Bruder durfte
sie manchmal das Haus verlassen. Mit 15 Jahren lief sie
von zu Hause weg und versteckte sich bei einer Schulfreundin.
Dort wurde sie von der Polizei herausgeholt und trotz
ihres Flehens nach Hause zurückgebracht. Am nächsten
Tag meldete sich das Jugendamt, um am Telefon mit ihr zu
sprechen. Der Vater soufflierte ihr, was sie zu sagen hatte.
Danach wurde sie wieder geschlagen, weil sie mit Dritten
über die Familie gesprochen hatte.
Nach diesem Vorfall hat sie beschlossen, aushalten zu
müssen, bis sie volljährig ist. Seit kurzem hat sie eine junge
Stiefmutter aus der Türkei, mit der sie sich gut versteht.
Zwischenbemerkung: Schon dieser erste Weglaufversuch
hätte nicht so enden dürfen. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz
(KJHG) ist zwar in seinen Grundzügen ein sehr
elternfreundliches Gesetz, das fast alle Hilfsmaßnahmen
davon abhängig macht, dass Eltern sie beantragen. Ein
Paragraph (§42) räumt aber Kindern und Jugendlichen das
Recht ein, beim Jugendamt um Inobhutnahme zu bitten.
Sie müssen dann untergebracht werden, und erst danach
setzt der Klärungsprozess mit den Sorgeberechtigten ein.
Sebnem kommt kurz vor Beendigung der Realschule zu uns,
nachdem ihr Vater, der ahnte, dass sie in der Schule einen
(deutschen) Freund hat, sie deshalb getreten hat, bis sie
blutete. Er hat außerdem gedroht, er werde die Schwester
des Freundes vergewaltigen lassen.
Auffällig ist das Ausmaß ihrer Angst. Sie stellt den Vater
als allmächtig dar: Er werde sie überall finden, habe gute
Verbindungen zu Polizei und werde zu allem bereit sein,
um sie in seine Gewalt zu bringen. Sie wisse nicht, was ihr
dann geschehen werde.
An dieser Stelle kann man sich schon fragen: Ist das ein
kultureller Konflikt? Ist das ein Beziehungskonflikt? Ist das
ein Generationskonflikt – und wenn ja, wie viele Generationen
müsste man einbeziehen, um ein deutliches Bild zu
bekommen?
Der Betreuungsverlauf (jeder Punkt steht für das Vergehen
einer Woche)
Der Vater bekommt telefonisch nur die sehr allgemein
gehaltene Nachricht, seine Tochter sei in einer Zufluchtsstelle
für Frauen und Mädchen und werde sich melden,
wenn sie wolle. Sebnem möchte keinerlei Kontakt mit ihm
aufnehmen. Viele Gespräche mit ihr drehen sich um ihre
enorme Angst vor ihm.
Wir nehmen Kontakt zum Jugendamt ihres Heimatorts
auf. Der Kollegin dort ist Sebnem ein Begriff, der Vater
war schon bei ihr. Sie besteht auf einem persönliches
Gespräch mit Sebnem , bevor sie etwas für sie tun
könne. Überhaupt sei sie volljährig und falle nicht
mehr in die Zuständigkeit des Jugendamtes. Ob für ein
Gespräch die Fahrtkosten für Sebnem und eventuell
eine Begleiterin übernommen würden, ist noch unklar.
Sebnem hat bei den Berliner Oberstufenzentren
erfahren, dass sie ohne Pass und Anmeldung keine
Chance hat, aufgenommen zu werden. Den Pass hat der
Vater weggeschlossen. Der einzige Weg scheint zu sein,
dass sie eine Passverlustanzeige stellt. Wir müssen mit
ihr zur Meldestelle und zum Türkischen Konsulat, um
einen neuen Pass zu beantragen.
Von Freunden hört Sebnem, der Vater habe ihrem
Freund 5000 Euro geboten, wenn er ihm ihren
Aufenthaltsort verrate.
Die Kostenübernahme für eine Fahrt zum Heimat-
Jugendamt wurde abgelehnt. Wir schicken Sebnems
Lebenslauf und eine Stellungnahme von Papatya
hin. Zitat aus dem Brief den Sebnem ans Jugendamt
schreibt: „Da ich schon einmal mit 15 geflüchtet bin
und mein Vater mit Hilfe der Polizei mich gefunden hat,
habe ich jetzt Angst, daß er wie damals mich wieder
findet und mich umbringt. Ich habe große Angst vor
meinem Vater, weil er immer wieder mir gesagt hat:
„Solange du nicht verheiratet bist, bin ich für deine
Ehre verantwortlich und hier gelten meine Gesetze und
meine Regeln. Wenn du dagegen verstößt, wirst du
dafür bestraft und ich habe vor niemandem Angst. Die
Gesetze hier interessieren mich nicht, ich mache meine
Gesetze.“
Bei der Meldestelle stellt sich heraus, dass eine
Passverlustanzeige nur dort gemacht werden kann,
wo man gemeldet ist – also im Heimatort, wo Sebnem
gefährdet ist. Eigentlich nimmt das Türkische Konsulat
ohne Passverlustanzeige keinen Antrag auf einen Pass
entgegen – in diesem Fall erklärt es sich bereit, mit
dem Konsulat am Heimatort zu kooperieren.
Der Freund berichtet am Telefon, er werde immer noch
vom Vater bedroht.
Sebnems Vater hat im Jugendnotdienst angerufen:
Er wisse, dass sie in Berlin sei. Woher ist unklar, mit
dem Jugendamt war striktes Stillschweigen über den
–•
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33
Aufenthaltsort vereinbart. Mögliche Quellen könnten
Kontoauszüge sein (Sebnem hat ein Konto, von dem sie
gegen unseren Rat in Berlin Geld abgehoben hat) oder
es gibt vielleicht Spuren durch das türkische Konsulat.
Sebnem selbst vermutet, dass ihr Freund dem Vater
etwas gesagt haben könnte, da er so viel Angst vor ihm
hat.
Die Kollegin beim Jugendamt ist nicht erreichbar,
da krank. Die alte Schule ist bereit, ihr den
Realschulabschluss zu bescheinigen. Die Klassenlehrerin
gibt an, dass der Vater anfangs täglich bei ihr war und
gesagt hat, er werde einen Privatdetektiv beauftragen.
Das Jugendamt am Herkunftsort ist bereit, sich auf
Amtshilfe eines Berliner Jugendamts einzulassen. Dem
Berliner Amt, das zuständig wird, faxen wir ebenfalls
alle Unterlagen. Sebnem telefoniert mit der Stiefmutter,
die ihr erzählt, der Vater suche sie in den örtlichen
Frauenhäusern und habe eine geladene Pistole dabei.
Ansonsten habe er Herzbeschwerden, weigere sich
aber, sich operieren zu lassen, bevor sie nicht zu Hause
sei. Außerdem sei der Vater vom Türkischen Konsulat
vor Ort einbestellt worden. Sebnem hat inzwischen in
Berlin einen türkischen jungen Mann kennengelernt, mit
dem sie sich trifft.
Kommunikationsprobleme zwischen den beiden
Jugendämtern, die sich gegenseitig nicht erreichen.
Es stellt sich heraus, dass der Amtsleiter des
Heimat-Jugendamts sich unter der Meldung auf
dem Anrufbeantworter des Berliner Jugendamtes
„Allgemeine Jugendberatung“ keine Behörde vorstellen
konnte und deshalb dachte, Papatya habe ihm die
Telefonnummer irgendeines freien Trägers gegeben.
Die Stimmung ist gereizt. Nun will der Amtsleiter einen
zusätzlichen Bericht des Berliner Jugendamtes. Sebnem
geht dorthin zum Gespräch. Die Stiefmutter erzählt
am Telefon, der Vater prahle, er habe das Jugendamt
bestochen. Sebnem bekommt einen neuen Pass, wir
holen ihn unter großer Anspannung mit ihr im Konsulat
ab – sie fürchtet, der Vater könnte ihr dort auflauern.
Weiterhin fehlt eine Meldebescheinigung.
Sebnem kehrt von einem Ausgang nicht zurück. Sie
meldet sich abends im Jugendnotdienst und hinterlässt
eine Handynummer. Sie sagt, dass ihr Vater sie in Berlin
auf der Straße abgefangen habe, sie könne nicht lange
reden. Der Vater kommt auch an den Apparat, um ihre
Sachen einzufordern. Spät abends ruft Sebnem wieder
an: sie seien zu Hause. Wir verständigen die Berliner
Polizei, die sofort vorbeikommt. In deren Beisein sagt
sie in einem weiteren Telefonat, sie sei freiwillig zu
Hause. Die Polizei vor Ort wird alarmiert und geht
in die Wohnung der Familie. Sie spricht mit Sebnem
allein, die dabei bleibt, sie sei freiwillig zurückgekehrt.
In den nächsten Tagen kommt es noch zu mehreren
Telefonaten wegen ihrer Sachen. Sie bleibt dabei, zu
Hause bleiben zu müssen – es habe sich ja gezeigt,
dass die Prophezeiung ihres Vaters, er werde sie überall
finden, richtig gewesen sei.
Sieben Wochen Aufenthalt und ein derart vernichtendes
Ergebnis. Im Nachhinein konnten wir zumindest klären,
dass die Telekom – entgegen anders lautender Absprachen,
die wir vor Jahren mit viel Aufwand mit ihr getroffen
haben – dem Vater, auf eine beantragte Fangschaltung
hin, unsere Adresse herausgegeben hat. Ob dies allerdings
die einzige Sicherheitslücke gewesen ist, bleibt unklar,
da laut den Unterlagen der Telekom Sebnem bereits vom
Vater gefunden worden war, bevor ihm das Ergebnis der
Fangschaltung mitgeteilt wurde. Die anderen Mädchen der
Gruppe halten auch für möglich, dass der neue Freund den
Vater informiert haben könnte.
Warum schon bloße Sicherheit zu gewährleisten so schwierig
ist, ist gerade angeklungen: Mangelnde Kooperation
verschiedener Stellen, insbesondere, da bundeslandübergreifend
gearbeitet werden muss, fehlende Papiere, der bei
Volljährigkeit infrage gestellte Anspruch auf Jugendhilfe,
weitgreifende Suchstrategien des Vaters, mögliche Gefährdung
durch neue Bekannte, der Versuch alte Bindungen
(wie die an die Stiefmutter) zu erhalten...
Sebnem hat – entgegen ihren Befürchtungen – ihren
Fluchtversuch nicht mit dem Leben, sondern mit der Freiheit
bezahlt. In der Regel sind wir erfolgreicher Sicherheit
zu gewährleisten, und dann gelingt es auch besser, dem
nächsten Aspekt gerecht zu werden:
Ein zweiter Schwerpunkt unserer Arbeit: Umgehen
mit der Ambivalenz
Die Eltern sind immer anwesend – jedes Mädchen trägt sie
ständig mit sich herum, auch wenn sie sie gern vergessen
würden. Viele Mädchen quälen die typischen Selbstvorwürfe
des geprügelten Kindes: Vielleicht bin ich so unerträglich,
daß meine Eltern mich nicht mögen können?
Zusätzlich wissen sie aber auch um die ganz realen sozialen
Folgen, die ihre Flucht für die Eltern in deren Umfeld
hat, und sind häufig selbst noch an die Normen der Ehre
gebunden.
Wir versuchen, diese innere Auseinandersetzung mit den
Eltern zu begleiten, ihr aber auch die Realität an die Seite
zu stellen. Wir ermutigen sie, aus dem Schutz der Einrichtung
heraus, der Familie ihre Situation in Briefen oder
Telefonaten zu schildern und sich deren Reaktionen auszusetzen.
Wann immer die potenzielle Gefährdung durch
die Familie beherrschbar erscheint, finden auch Elterngespräche
beim Jugendamt von Angesicht zu Angesicht statt
– nicht nur bei den Minderjährigen, bei denen dies schon
das Sorgerecht der Eltern gebietet, sondern auch bei den
jungen Volljährigen. Diese Gespräche werden vorher mit
den Mädchen in Rollenspielen durchgegangen und in der
Regel von zwei Mitarbeiterinnen begleitet.
–•
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34
Die Spiegelung ihrer Lage durch erwachsene Betreuerinnen
kann ein wichtiges Korrektiv für die manchmal überwältigenden
Schuldgefühle die Familie zu zerstören sein.
Dass unser Team interkulturell ist, ist dabei von zentraler
Bedeutung. Dabei geht es weniger um das Wissen um die
kulturellen Hintergründe oder um Sprachkenntnisse, sondern
vor allem darum, dass die Mädchen Unterstützung von
Frauen mit ähnlicher Herkunft erfahren. Die ihnen deutlich
machen, dass das Verhalten ihrer Familie sich nicht mit
Kultur legitimieren lässt, dass sie nicht mit ihrer Herkunft
brechen müssen, wenn sie sich gegen ihre Familie wehren.
Wir versuchen, die häufig vorhandenen Bilder väterlicher/
brüderlicher/elterlicher Allmacht infrage zu stellen,
gleichzeitig aber auch mit dem Mädchen herauszufinden,
wie ernst ihre Gefährdung tatsächlich und auf Dauer ist. In
vielen Familien wird sehr schnell und vehement gedroht,
weil das für besonders wirksam gehalten wird, ohne dass
wirklich die Absicht besteht, die Drohung in die Tat umzusetzen.
Allerdings gibt es auch immer wieder Mädchen, die Berlin
verlassen müssen, weil sie dauerhaft um ihr Leben fürchten
müssen. Dabei stellen die Brüder und ihre Freundeskreise
oft eine viel massivere Bedrohung als die Eltern dar.
Wir haben aus zwei Fehlern gelernt:
zu stark auf die Veränderungsfähigkeit der Eltern zu
hoffen. Während des Aufenthalts bei uns haben die
Eltern keinen Zugriff auf die Tochter. Das Machtgefälle
in der Familie hat sich verschoben und die Eltern
verhalten sich strategisch gegenüber ihrem Hauptziel,
die Tochter zur Rückkehr zu bewegen. Sie versprechen
dabei oft mehr, als sie halten können. So haben
wir im ersten Jahr mit den Eltern eines Mädchens
ausgehandelt, daß die beabsichtigte Heirat mit einem
Cousin abgesagt wird. Sie ging nach Hause und
verschwand für immer in der Türkei.
Vorschnell zu meinen, dass ein Mädchen, das vehement
behauptet nie wieder Kontakt mit den Eltern haben zu
wollen, auch in der Lage ist, wirklich mit der Familie
zu brechen. In den ersten Jahren haben wir Mädchen
oft sehr schnell weit weg von Berlin untergebracht und
mussten dann erleben, dass sie sich sehr einsam fühlten
und überstürzt zu den Familien zurückkehrten. Fast
immer ist die Flucht ein ambivalentes letztes Mittel,
und die Mädchen wünschen sich statt einer Trennung
eigentlich, dass ihre Familie endlich für sie und ihre
Bedürfnisse Verständnis entwickelt.
Aber: bei allen Kontakten ist es wichtig, dass wir uns auf
die Seite der Mädchen stellen, und vor allem ihre Entscheidung
gegen eine Rückkehr ernst nehmen.
In Bezug auf das Beenden von Misshandlungen und die
Aufgabe von Heiratsplänen lassen sich in Elterngesprächen
Veränderungen erreichen. In einigen Fällen akzeptieren die
Eltern auch Unterstützung durch Jugendhilfemaßnahmen,
wie etwa sozialpädagogische Familienhilfe oder Erziehungsberatung.
Allerdings gibt es auch Konflikte, bei denen die Eltern kaum
zu Kompromissen bereit sind: wenn die Mädchen Beziehungen
mit Jungen eingehen oder wenn sie unverheiratet
allein leben möchten. Beides greift, wie man unschwer
erkennen kann, die Familienehre zentral an, und es gibt
kaum Eltern, die es schaffen, sich hier zugunsten der Beziehung
zu ihrer Tochter dem sozialen Druck entgegenzustellen.
Da fast alle Mädchen heimlich einen Freund haben,
können wir den Teufelskreis aus Verheimlichen (aufseiten
der Mädchen) und rigider Kontrolle (aufseiten der Eltern)
hier nicht durchbrechen.
Hindernisse bei der wirksamen Unterstützung von
potenziellen Opfern
Fehlendes/mangelndes/erwachendes Problembewusstsein
Ich denke, dass wir gerade erst anfangen, uns über das
Problems in Deutschland klar zu werden. Zum einen brauchen
wir ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass Toleranz
gegenüber traditionellen oder kulturellen Eigenheiten dort
eine entschiedene Grenze finden muss, wo Menschenrechtsverletzungen
beginnen.
Zum anderen brauchen ein inhaltliches Vorverständnis,
damit Professionelle verschiedenster Berufsgruppen (Polizei,
Justiz, Schule, Ärzte, Jugendamt etc.) angemessener
reagieren können. Dass Betroffene sich in Lebensgefahr
befinden können, ist keineswegs überall bekannt.
Papatya nimmt immer wieder Mädchen und junge Frauen
aus anderen Bundesländern auf, die dort überhaupt keine
Möglichkeit haben Schutz und Hilfe zu finden. Bei Minderjährigen
kann das einen mühsamen Aushandlungsprozess
mit dem Jugendamt am Heimatort nach sich ziehen, indem
nachvollziehbar gemacht werden muss, warum ein Mädchen
sich vor Ort nicht ausreichend geschützt fühlt.
Typische Fehleinschätzungen, die uns bei den Jugendämtern
außerdem begegnen, bestehen darin, dass diese sich
nicht vorstellen können, dass sich die Familie im Amt strategisch,
also sehr freundlich und kompromissbereit verhält,
der Tochter gegenüber aber massive Gewalt anwendet.
Oder, dass traditionelle Regeln auch dort herrschen, wo die
Mutter kein Kopftuch trägt. Oder, dass Lügen manchmal
der einzige Weg für ein Mädchen sind, Schläge bis hin zur
Lebensgefahr abzuwenden. Zitat eines Jugendamtes: „
Die saß da vor mir in ihrem leichten Sommerkleidchen, da
konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Eltern so streng
sind.“
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35
Junge Volljährige
Bei Papatya waren letztes Jahr etwa die Hälfte der aufgenommenen
Mädchen volljährig oder knapp vor der Volljährigkeit.
Viele von ihnen haben extra die Volljährigkeit abgewartet,
weil sie wussten, dass sie dann keine rechtliche
Zustimmung der Eltern mehr brauchen, um sich zu trennen.
Als junge Volljährige werden sie aber vom Jugendamt
häufig abgewiesen und an die Frauenhäuser bzw. auf die
Sozialhilfe verwiesen.
Ich will es ungeschminkt sagen: die Verhandlungen mit
Jugendämtern sind oft der schwierigste Teil unserer Arbeit.
Obwohl das KJHG Hilfen für junge Volljährige mit Erziehungsbedarf
ausdrücklich einräumt, muss das in jedem Einzelfall
durchgesetzt werden. Die Frauenhäuser sehen sich in
der akuten Krisensituation häufig von den Bedürfnissen und
dem Betreuungsbedarf der jungen Frauen überfordert. Aber
auch und gerade, wenn sie nach einer ersten Klärung in
eine eigene Wohnung ziehen können, brauchen die Frauen
mindestens in der Anfangszeit noch sozialpädagogische
Betreuung. Die Begründung liegt auf der Hand:
Ihre Volljährigkeit war für sie zu Hause mit keinerlei
Zuwachs an Freiheit oder Rechten verbunden. Einen eigenen
Freundeskreis durften sie nicht haben. Die Kontakte
und die Unterstützung ihrer Familie haben sie durch ihre
Flucht nicht nur verloren, sondern sie müssen sich häufig
vor ihr verstecken. Werden sie an ihrem neuen Wohnort,
in der Schule oder am Arbeitsplatz von Männern mit
ähnlichem kulturellen Hintergrund als allein lebende junge
Frauen identifiziert, so gelten sie häufig als Freiwild und
müssen sich vor Übergriffen schützen.
Sie müssen ihre Verselbständigung also gegen einen Berg
von Widerständen durchsetzen.
Mangelnder Zugang zu potenziellen Opfern
Wir vermuten, dass wir bei Papatya nur die Spitze des Eisbergs
sehen. Insbesondere von jungen Importbräuten, die
auch bei uns nur selten und wenn, dann auf sehr zufälligen
Wegen, landen, vermuten wir, dass sie häufig überhaupt
keine Möglichkeit haben, sich aus Gewaltsituationen zu
befreien. Sie leben oft sozial isoliert und im wahrsten
Sinne des Wortes sprachlos in ihrer Schwiegerfamilie. Hier
müssen Strategien entwickelt werden, sie zu erreichen.
Ansonsten ist für viele Mädchen die Schule der einzige
Ort, den sie außerhalb ihrer Familie aufsuchen dürfen, an
dem sie sich außerhalb der Familie jemandem anvertrauen
können. Sehr viele Mädchen, die zu Papatya kommen,
schaffen diesen Weg nur mit Hilfe engagierter LehrerInnen
und SchulsozialarbeiterInnen. Wenn Schulen allerdings zu
massiv intervenieren, besteht die Gefahr, dass Mädchen
aus der Schule genommen werden. Hier ist also Zusammenarbeit
mit dem Jugendamt gefragt.
Schutz der HelferInnen
Sowohl in Schule als auch in Jugendamt ist es wichtig, dass
Einzelne in der Auseinandersetzung mit den Familien nicht
allein gelassen werden. Werden sie von der Familie verdächtigt,
das Mädchen zu unterstützen, können sie selbst
bedroht werden. Kollektive Unterstützungsmechanismen
sind bisher wenig ausgeprägt.
Anonymität
Es ist nicht einfach, sich als Person zu verstecken. Oft sind
die Verwandtschaftskreise sehr groß und die Mädchen
selbst wissen gar nicht, wer sie alles als „Tochter von X“
oder „Cousine von Y“ erkennt. Fast unmöglich ist es aber,
keine auffindbaren Daten bei den vielen bürokratischen
Vorgängen zu hinterlassen. Die Schwierigkeiten beginnen
schon damit, dass wichtige Papiere wie z.B. der Pass oft
von den Eltern unter Verschluss gehalten werden, oder
bei einer schnellen Flucht nicht mitgenommen werden
können und neu beantragt werden müssen. Vor allem bei
nichtdeutschen Staatsangehörigen ist das kaum spurlos
möglich.
Hier brauchen wir unterhalb der Ebene des Zeugenschutzprogramms,
das eine Strafanzeige voraussetzt, ein Opferschutzprogramm,
das Anonymität bei Krankenkassen,
Bankkonten, Bafög, Sozialamt etc. sicherstellt.
Ein Ansatz, der in den Niederlanden erprobt wird, könnte
hilfreich sein: Dort informiert die Polizei eine Familie per
Hausbesuch darüber, dass ihre Tochter oder Frau in eine
Schutzeinrichtung geflohen ist und fordert dabei die Aushändigung
der Personalpapiere ein.
Cross-border dimension: Mädchen können außer
Landes gebracht werden
Gerade vor den Sommerferien kommen die Beratungsanfragen:
Eine Schülerin hat sich an ihre Lehrerin gewandt,
weil sie befürchtet, dass sie in den Ferien im Herkunftsland
der Eltern verheiratet und/oder dass sie dort zurückgelassen
werden wird. Deutsche Staatsangehörige können
dann noch hoffen, bei den Konsulaten Unterstützung zu
finden – die allerdings aus kleinen Dörfern kaum zu erreichen
sind. Die anderen laufen bisher sogar Gefahr, dass
ihr Aufenthaltsstatus nach einem halben Jahr im Ausland
erlischt. Hier besteht also besonders dringender Handlungsbedarf.
In Großbritannien sind in den letzten Jahren
gezielt Konzepte entwickelt worden, wie zu möglicherweise
verschleppten britischen Staatsangehörigen direkt vor Ort
Kontakt aufgenommen werden kann, um eine Rückkehr zu
ermöglichen.
36
Fazit
Wir brauchen – neben erweiterten Schutzangeboten und
verbesserter Kooperation – Fortbildungen für Professionelle
unterschiedlicher Berufsgruppen. In Berlin haben wir
gerade mit der Berliner Interventionsstelle gegen häusliche
Gewalt ein Angebot für die Polizei entwickelt.
Wir wissen zu wenig. Zu wenig über das Ausmaß von
Gewalt im Namen der Ehre, von Zwangsheiraten und
Ehrenmorden. Aber auch zu wenig darüber, wie die Ehrvorstellungen
im Kontext der Migration überleben und sich
möglicherweise wandeln. Wenn ich bedenke, dass 40%
der Mädchen bei uns aus Scheidungs-, Trennungs- oder
Stieffamilien kommen, dann scheint mir das dem traditionellen
Ehrbegriffen zu widersprechen. Denken Sie an das
Eingangsbeispiel von Yeliz, die dem Ehrbegriff ihres Vaters
ihren eigenen entgegenstellt. Sieht man auf die soziale
Lage, dann stellt man fest, dass nur noch 30% der Mädchen
bei Papatya mit einem Vater zusammenleben, der Arbeit
hat.
Ich vermute, dass gerade in Familien, die sich vom sozialen
Abstieg bedroht sehen, Gehorsam der Töchter (und Frauen)
besonders rigide eingefordert wird. Als Ausdruck eines
reaktiven Kulturalismus, der möglicherweise nur noch eine
Art Karikatur der ursprünglichen kulturellen Kontexte ist,
soll das Wohlverhalten der Töchter demonstrieren, dass
die Eltern noch Kontrolle über ihr Leben und Verbindung
zu ihrer Herkunft besitzen. Zu denken gegeben hat mir die
Schilderung einer jungen Frau von Ni putes ni soumises
aus Frankreich, dass in den Vorstädten Frankreichs eine
Ghettokultur eigener Art entsteht, in deren Zentrum die
Unterdrückung von Frauen steht, die als Ausdruck „authentischer“
kultureller Identität und Abgrenzung gegenüber
der Mehrheitsgesellschaft verbrämt wird.
Wir brauchen – nicht nur, aber vor allem in der Prävention
– intensive Interkulturelle Zusammenarbeit, angefangen
bei der viel zitierten und kaum umgesetzten interkulturellen
Öffnung der sozialen Dienste. Ich denke, dass bei
Papatya der Vorbildcharakter des interkulturellen Teams
von zentraler Bedeutung ist, und dass die Mädchen dringend
darauf angewiesen sind, von Frauen unterschiedlicher
Herkunft zu hören, dass sie ein Recht auf ein selbstbestimmtes
Leben haben – vor allem, da die Familie ihnen
häufig vorwirft, sie verrieten ihre Kultur und Tradition und
wollten „deutsch“ leben.
Migrantenorganisationen können einen erheblichen Einfluss
auf die Prävention vor Gewalt im Namen der Ehre haben,
da es Tätern im Kern immer auch um das soziale Ansehen
geht. Gäbe es keinen Applaus für Gewalt, die mit der Familienehre
begründet wird, würden Täter verachtet und nicht
verehrt, dann würde der zentrale Sinn der Gewalt verloren
gehen und es bliebe nur der individuelle, emotionale Kern
übrig. Wir brauchen ein neues, anderes Verständnis von
Ehre und Vorbilder, die dafür eintreten.
Zum Schluss noch ein Satz zu den Männern und Jungen:
Auch sie sind von Gewalt im Namen der Ehre als Opfer
betroffen – so etwa von Zwangsheirat. Besonders Homosexuelle
geraten unter massiven Druck. Allerdings sind die
Spielräume für Männern sich den Forderungen zu entziehen,
indem sie etwa ein Doppelleben führen, größer, als die
der Frauen, und sie müssen nicht befürchten, für verlorene
Jungfräulichkeit bestraft zu werden.
Mehr Informationen über die Arbeit von Papatya über: www.
papatya.org
Resourcebook Against Honour-Related Violence (in Englisch)
mit Informationen über verschiedene europäische Länder, u.a.
Deutschland, über www.qweb.kvinnoforum.se
* Zum Thema Jugendhilfe für junge Volljährige „Lotterie
oder Rechtsanspruch?“ kann man bei Papatya einen Aufsatz
anfordern, der eine Studie im Rahmen einer Master-Thesis im
Studiengang „Menschenrechte und soziale Arbeit“ zusammenfasst.
Junge Volljährige sind dazu nach ihrem Auszug bei Papatya
interviewt worden.
37
Handlungsperspektiven in
Niedersachsen auf der Ebene
von Land und Kommune
Vortrag von Ulrike Westphal
Liebe Frau Altug,
liebe Frau Vollmer-Schubert,
liebe Frauen vom Organisationsteam,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke Ihnen für die Einladung zu dieser Veranstaltung.
Ich bin sehr beeindruckt von dem, was
sie hier „auf die Beine“ gestellt haben. Und ich
bin noch mehr beeindruckt, welch großes Interesse
offensichtlich am Thema Zwangsheirat in der
(Fach-) Öffentlichkeit besteht. Sie alle – meine
Damen und Herren – zeigen dies bereits mit Ihrer
heutigen Anwesenheit.
Bevor ich mit meinem Referat beginne, vielleicht
noch ein paar Worte zu meinem beruflichen Tätigkeitsfeld.
Ich bin als Juristin und Sozialwissenschaftlerin
im Ministerium für Frauen, Soziales,
Familie und Gesundheit seit ca. 14 Jahren tätig
– zunächst im Frauenministerium, das vor einigen
Jahren in das Sozialministerium integriert wurde.
Derzeit arbeite ich hier in der Frauenabteilung
und leite ein Referat, dass sich schwerpunktmäßig
mit dem Bereich Frauen und Gesundheit sowie
mit dem Querschnitt „Frauen und Sozialpolitik“
befasst. Ein Unterpunkt dieses Themas ist der
Bereich „ausländische Frauen“. Hier ist auch der
Anknüpfungspunkt meiner Tätigkeit im Bereich
Zwangsverheiratung und Zwangsehe.
38
„Zwangsheirat – eine Eheschließung, bei der eine Ehepartnerin
bzw. ein Ehepartner oder beide nur durch massiven
Druck, Androhung oder Anwendung von Gewalt zur Zustimmung
bewegt wurden – ist eindeutig eine Menschenrechtsverletzung.
Gleiches gilt für Zwangsehen, bei denen eine
Ehepartnerin bzw. ein Ehepartner gezwungen wird, gegen
ihren bzw. seinen Willen eine eheliche Lebensgemeinschaft
– unter welchen Umständen sie auch zustande gekommen
ist – fortzusetzen.
Der Landtag hält u. a. die konkrete Benennung der Zwangsheirat
als einen besonders schweren Fall der Nötigung im
Strafgesetzbuch für geeignet, um dadurch Zwangsehen zu
ächten, ihren Unrechtscharakter gesellschaftlich deutlich
zu machen und Zwangsverheiratungen rechtlich wirksamer
zu verfolgen. Bei den unmittelbar Beteiligten muss ein
Unrechtsbewusstsein geschaffen und die Rechtsstellung
der Opfer gestärkt werden. Vor diesem Hintergrund bittet
der Landtag die Landesregierung, ein Handlungskonzept
zum Thema „Zwangsheirat/Zwangsehen“ zu entwickeln
und die hierfür notwendigen Maßnahmen vorzuschlagen“.
Somit hat die Landesregierung vom niedersächsischen
Parlament einen konkreten Handlungsauftrag erhalten,
verbunden mit einem entsprechenden Termindruck. Denn
bereits Ende 2005 wird dem Landtag ein Zwischenbericht
über das Tätigwerden der Landesregierung vorgelegt
werden.
Anrede,
das Thema Zwangsheirat/Zwangsehe kann und muss
natürlich mit Hochdruck und einer entsprechenden Untermauerung
bearbeitet werden. Die Federführung für die
Bearbeitung liegt in meinem Referat. Um unsere Arbeitsstrukturen
festzulegen haben wir direkt nach der Landtagsentschließung
den sog. IMAK gegründet. Das heißt wir
haben mit Hilfe eines Kabinettsbeschlusses einen „Interministeriellen
Arbeitskreis“ gegründet um die Beteiligten
der anderen Ministerien in einer verbindlichen Form der
Zusammenarbeit „an einen Tisch zu bekommen“. Diesem
IMAK gehören neben dem Sozialministerium das Innenministerium,
die Ausländerbeauftragte, das Justizministerium,
das Kultusministerium und die Staatskanzlei an. An
der Zugehörigkeit der Staatskanzlei kann auch abgelesen
werden, dass dem Thema eine hohe politische Bedeutung
beigemessen wird. Der IMAK hat zwischenzeitlich eine
konstituierende Sitzung gehabt und seine Handlungsfelder
festgelegt.
Hiernach soll das Handlungskonzept folgende Punkte
umfassen:
Maßnahmen zur Klärung des Ausmaßes und der
Auswirkungen von Zwangsheirat in Niedersachsen unter
Einbeziehung von Verbänden sowie des Bundes zu
erarbeiten,
Anrede,
Wir konnten heute bisher einige sehr informative und auch
bewegende Vorträge hören. Ich habe jetzt die Aufgabe,
Ihnen ein eher pragmatisches Thema vorzutragen: Ganz
schlicht die Handlungsmöglichkeiten eines Landes bzw.
einer Kommune im Themenbereich Zwangsverheiratung.
Handlungsbedarf besteht – darin sind wir uns alle wohl
einig. Handlungsmöglichkeiten können jedoch so vielfältig
sein wie sie möglicherweise auch widersprüchlich sind. Das
gemeinsame Ziel ist klar:
Wir wollen von Zwangsheirat Betroffenen helfen
(Hilfestellung),
wir wollen zukünftig Zwangsheiraten verhindern
(Prävention) und dazu
wollen und müssen wir langfristig die Einstellung all
derer Menschen verändern, die zur Zwangsverheiratung
bzw. Zwangsehen direkt oder indirekt beitragen
(Bewusstseinsveränderung).
Hierzu zunächst die Perspektive aus Landessicht:
Nicht nur in Fachkreisen hat das Thema Zwangsverheiratung
und Zwangsehe Einzug gehalten sondern auch in
den zuständigen Ministerialverwaltungen. Nicht zuletzt
dank Terre des femmes, die Zwangsheirat bereits vor zwei
Jahren zu ihrem Schwerpunktthema erklärt haben und
über die wir heute Vormittag einiges haben hören können,
ist die Brisanz dieses Themas zwischenzeitlich in fast aller
Köpfe. So hat beispielsweise das Land Baden Württemberg
im Jahre 2003 unter Federführung des Innenministers
bzw. der Ausländerbeauftragten eine große Anhörung zu
diesem Thema durchgeführt. Ähnliches wurde auf Bundesebene
seitens der GRÜNEN im Jahre 2004 durchgeführt;
zwischenzeitlich haben sich viele Bundesländer dieses Themas
angenommen. Auch die kürzlich stattgefundene Frauengleichstellungsministerinnenkonferenz
(GFMK) hat gezeigt,
dass die Bundesländer Baden Württemberg, Nordrhein-
Westfalen, Berlin aber auch Bayern, Hamburg und nicht
zuletzt Niedersachsen in diesem Bereich zunehmend aktiv
werden. In Niedersachsen hat sich Frau Ministerin von der
Leyen dieses Themas ausdrücklich angenommen. Und auch
der Niedersächsische Landtag hat sich deutlich positioniert.
Am 18.05. diesen Jahres hat der Landtag hierzu
eine gemeinsame Entschließung gefasst. Aufgrund eines
Antrags der GRÜNEN wurde eine gemeinsame Entschließung
einstimmig von allen Fraktionen am 18. Mai 2005
verabschiedet. Hiernach wird die Landesregierung gebeten,
ein Handlungskonzept bis Ende des Jahres 2006 zu erarbeiten
in dem Handlungsmöglichkeiten und Perspektiven
für das Land im Detail dargelegt werden. Ich möchte kurz
aus dieser Entschließung zitieren, denn sie macht deutlich
wie vielschichtig die Handlungsansätze und entsprechend
umfänglich der Handlungsauftrag seitens des Landtags an
die Landesregierung ist:
–•
–•
–•
–•
39
Entwicklung von Hilfsangeboten (wie z.B. ein
Notfalltelefon) und Präventionsmaßnahmen für die
von Zwangsheirat und Zwangsehe Betroffenen oder
Bedrohten und ihre Familien in Kooperation mit
Schulen, Jugendämtern, Polizei, Ausländerbehörden,
Gewaltberatungsstellen und Familiengerichten sowie
gegebenenfalls Frauennetzwerken,
Konzept zur Information und Sensibilisierung
der Öffentlichkeit, um Aufklärungskampagnen in
Zusammenarbeit mit Migrantinnen- und Migrantenselbs
thilfeorganisationen durchzuführen,
Prüfung möglicher Ergänzungen bzw. Änderungen
bestehender rechtlicher Regelungen u. a. unter
Einbeziehung der Bundesratsinitiative Baden-
Württemberg hinsichtlich § 6 StGB (Unterstellung unter
das Weltrechtsprinzip),
§ 1317 Abs.1 BGB (Antragsfrist für Eheaufhebung),
§ 1318 Abs. 2 BGB (Sicherung der Unterhaltsansprüche),
§ 1318 Abs. 5 BGB (Erbfolge bei Zwangsehe) sowie
Korrektur aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen z. B.
§ 31 (Verbesserung des Bleiberechts für Opfer) und
§ 51 AufenthaltsG (angemessene Frist zur Rückkehr von
Opfern).
Anrede,
ich möchte jetzt gerne überleiten zum Thema Handlungsfelder
für Land und Kommune. Nicht alle Möglichkeiten
zum Eingreifen sind glücklicherweise vom Geld abhängig.
Dennoch haben wir ständig die engen haushaltsmäßigen
Grenzen sowohl des Landes als auch der Mehrheit aller
Kommunen in Niedersachsen mit im Blick.
Eine der Möglichkeiten zum Eingreifen sind die gesetzlichen
Regelungen. Wie Sie wissen ist das Strafrecht im Februar
diesen Jahres geändert worden. § 240 StGB weißt den Fall
von Zwangsverheiratungen als einen Fall der sog. schweren
Nötigung aus mit einem Strafrahmen von 6 Monaten
bis 5 Jahren. In diesem Zusammenhang gibt es auch eine
Bundesratsinitiative des Landes Baden-Württembergs
sowie des Landes Berlin. Beide Anträge werden gerade in
dieser Woche im Bundesrat verhandelt. Im strafrechtlichen
Bereich wird beantragt einen gesonderten Paragraphen
zum Thema Zwangsverheiratung auszuweisen, um mit Hilfe
der Präventivwirkung des Strafrechts gesellschaftliche Veränderungen
herbeizuführen. Über die Frage eines gesonderten
Straftatbestands kann es sicherlich verschiedene
Meinung geben. Ich halte die Anwendung und Umsetzung
eines Straftatbestandes (egal ob in § 240 integriert oder in
einem § 234a bzw. b neu geregelt) für erheblich wichtiger.
Denn – meine Damen und Herren – :
Auch Mord ist schon immer (und als solcher überall) strafbar,
das weiß jeder. Dennoch haben wir diverse traurige
Erkenntnisse über sog. Ehrenmorde in unserer Gesellschaft
zu verzeichnen. Hier endet leider offensichtlich die abschreckende
Wirkung des Strafrechts. Wie dem auch sei, die verfahrenstechnische
Frage eines gesonderten Strafrechtsparaphen
wird in Kürze im Bundesrat entschieden sein.
Ebenso sind weitere Verbesserungen im Antrag Baden-
Württembergs und Berlins in Richtung Familienrecht angedacht.
Es geht hier um die Frage der Aufhebungsfristen für
Zwangsehen und eventueller Fristausweitung.
Darüber hinaus ist vorgesehen, im Unterhaltsrecht Verbesserungen
für die Betroffenen herbeizuführen. Und nicht
zuletzt im Erbrecht sind einige Klarstellungen angedacht.
So soll in Bezug auf das Stichwort Erbunwürdigkeit verhindert
werden, dass im weitesten Sinne an Ehrenmorden
beteiligte Personen möglicherweise auch noch in die Lage
kommen, hierdurch etwas zu erben.
Im Gegensatz zum Baden-Württemberger Antrag hält der
Berliner Antrag auch Änderungen hinsichtlich des Aufenthaltsrecht
für erforderlich und schlägt vor, die Rückkehrrechte
für von Zwangsheirat Betroffenen auszuweiten.
Ein weiterer Handlungsstrang im rechtlichen Bereich ist die
Frage der Zuzugsrechte. Wie sie wissen ist aufgrund einer
niedersächsischen Initiative der Vorstoß unternommen
worden, erst Ehegatten ab dem Jahre 21 und mit ausreichenden
Kenntnissen der deutschen Sprache das Zuzugsrecht
zu gewähren. Auch dies kann als Maßnahme zur
Verhinderung von Zwangsverheiratung verstanden werden.
Anrede,
neben den rechtlichen Handlungsmöglichkeiten, möchte
ich Ihnen jetzt kurz weitere behördliche Maßnahmen von
Land und Kommune skizzieren, unterteilt in die Kategorien:
1. Hilfestellung und
2. Prävention.
Zunächst zur Hilfestellung (1):
Für die betroffenen Personen sind vordringlich Beratungsstellen
bzw. Anlaufstellen von Bedeutung.
Für Personen die sogar fliehen müssen, um Zwangsverheiratungen
zu entgehen sind darüber hinaus Schutzeinrichtungen
erforderlich.
Sowohl Beratungsstellen als auch Einrichtungen die in
diesen Fällen Schutz bieten, gibt es bereits in Niedersachsen.
Allerdings gibt es keine Einrichtung die speziell nur für
Zwangsverheiratete ausgerichtet ist. Welcher Bedarf hier
besteht, das Angebot auszuweiten, soll u. a. die Erarbeitung
des Handlungskonzeptes ergeben.
Ein weiterer Bereich in dem Behörden tätig werden können
ist möglicherweise die Verbesserung der Zusammenarbeit
und Sensibilisierung aller behördlich Beteiligten. Eine Enge
Vernetzung von Polizei, Jugendämtern, Ausländerbehörden
und Familiengerichten scheint hier sinnvoll. Wichtig ist
beispielsweise, dass sich die Jugendämter nicht als ‚Elternverfolgungsbehörden’
begreifen müssen und dennoch konsequent
zum Schutz der betroffenen jungen Frauen agieren
können. Mit diesem Problem dürfen die Jugendämter nicht
allein gelassen werden. Möglicherweise ist hier durch
–•
–•
–•
40
entsprechende Schulungen oder auch Dienststellenübergreifende
gemeinsame Besprechungen o. ä. bereits einiges
zu erreichen. Auch Erlasse im Bereich des Ausländerrechts,
der Sprachförderung etc. könnten zur Eindämmung des
Problems der Zwangsheirat beitragen.
Mit der oben schon beschriebenen Strafbarkeit von
Zwangsverheiratung wird dies erkennbar zu einem so
genannten Offizialdelikt. Das heißt die Polizei muss jeder
Anzeige in diesem Bereich nachgehen. Dieses mehr ins
Bewusstsein von Bürgerinnen und Bürgern zu rücken
könnte ein weiterer Weg zur Eindämmung von Zwangsverheiratungen
sein. Hier ist der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit
sowohl für Land als auch für Kommunen ein denkbarer
Weg. Aufklärung ist also das A und O in diesem Bereich.
Anrede,
hiermit leite ich bereits über zu dem zweiten Bereich der
Handlungsmöglichkeiten:
Die Prävention (2.):
Öffentlichkeitskampagnen die möglichst mehrsprachig
erfolgen sollten, können vom Land und oder den Kommunen
durchgeführt werden. Ebenso ist es zweckmäßig, das
Thema Zwangsheirat in den Integrationskursen für ausländische
Mitbürgerinnen und Mitbürger inhaltlich aufzugreifen.
Nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache sondern
auch des Kulturverständnisses bis hin zum deutschen
Rechtssystem sollten hier vermittelt werden.
Schwieriger für uns ist hingegen der Zugang zu potenziell
betroffenen Personen (von unserem „grünen Tisch“ der
Verwaltungsbediensteten aus). Hier müssen Mittler gefunden
werden, die den Zugang zur jeweiligen Community
haben und das dortige Vertrauen genießen.
Auch das Thema Veränderung des Bewusstseins durch
Erziehung könnte seitens der Landesregierung partiell
gesteuert werden. So ist der Bereich der Schule durchaus
geeignet, entsprechende Wertevorstellungen und Selbstverständnisse
der jungen Frauen aber auch der jungen
Männer und ihren Familien zu vermitteln. Denkbar wären
hier Unterrichtsmaterialien zum Thema Zwangsverheiratung,
aber auch Lehrerfortbildungen könnten zur Sensibilisierung
für dieses Thema und die betroffenen Schülerinnen
und Schüler beitragen.
Um möglichst frühzeitig Steuerungsmöglichkeiten einzubauen,
sind unsere Überlegungen auch auf den Bereich der
Kindertagesstätten gerichtet. Empfehlenswert ist hier nach
einschlägigen Untersuchungen insbesondere eine gesunde
„Durchmischung“ der jeweiligen Kindergartengruppen.
Nicht mehr als 20% fremdsprachige Kinder sollten in einer
Kindergartengruppe sein, um eine bestmögliche Integration
zu gewährleisten. Hier wieder ein klassischer Handlungsbereich
für die Kommunen.
Daneben sind die Sprachkenntnisse zentraler Dreh- und
Angelpunkt. Hier ist mit dem Erlass über die Sprache
– der „Richtlinie zur Förderung des Erwerbs der deutschen
Sprache im Elementarbereich“ – ein erster Schritt unternommen.
Auch hier sehe ich jedoch Verbesserungsmöglichkeiten
um eine adäquate Sprachförderung vor Beginn des
Grundschulalters zu ermöglichen.
Das Kultusministerium hat beispielsweise für den Kindergartenbereich
einen so genannten „Orientierungsplan für
Bildung und Erziehung“ im Kindergarten herausgegeben.
Hier sind ebenfalls Ansatzpunkte, um im Erziehungsbereich
unsere Wertvorstellungen, die Zwangsverheiratungen
als Menschenrechtsverletzungen ansehen, zu vermitteln,
gegeben.
Anrede,
insgesamt stehen wir noch am Anfang bei der Erarbeitung
eines umfangreichen Handlungskonzepts zur Bekämpfung
von Zwangsehen. Wir haben einige Ideen die ich Ihnen
soeben skizziert habe und viel Zuversicht etwas zur Verbesserung
der Situation auch in Niedersachsen beizutragen.
So bleibt mir für heute – nicht nur in diesem Kreis – ein
Appell an Sie, an uns alle zu richten: der Appell des Hinsehens.
Wir alle sollten noch sensibler werden und in dem Bewusstsein,
dass Zwangsverheiratungen und Zwangsehen keinen
Platz in unserer Gesellschaft haben dürfen, hierfür offensiv
eintreten und in entsprechenden Fällen auch mutig aber
bedacht einschreiten.
Liebe Anwesende,
ich danke Ihnen für Ihr so konzentriertes Zuhören.
41
Seyran Ateş
Rechtsanwältin
Telefon: 030/28095300
post@seyranates.de
Bianca Wenzel
Arztsekretärin zurzeit ohne Anstellung
Ehrenamtliches Mitglied im Bundesvorstand
Terre des Femmes
wenzel@frauenrechte.de.
Corinna Ter-Nedden
Diplom-Psychologin
PAPATYA
Kriseneinrichtung für junge Migrantinnen
Telefon: 030/3499934
Regina Kalthegener
Rechtsanwältin
Telefon: 030/28093870
kalthegener@t-online.de
Ulrike Westphal
Juristin und Sozialwissenschaftlerin
Ministerialrätin im Nds. Ministerium für Soziales,
Frauen, Familie und Gesundheit
Telefon: 912011-2996
Ulrike.westphal@ms.niedersachsen.de
Autorinnen
Arzu Altuğ
LHH Referat für interkulturelle Angelegenheiten
Tel: 0511/168-41232
Silvia Fauth
Bestärkungsstelle für von MännerGewalt
betroffene Frauen
Tel: 0511/3948177
Fulya Kurun
Polizei Niedersachsen
Tel: 0511/1261055
Simin Nassiri
Suana – Beratungsstelle für von MännerGewalt
Betroffene Migrantinnen
Tel: 0511/126 078 18
Dorit Rexhausen
Frauen – und Kinderschutz Hannover
Tel: 0511/69 86 46
Brigitte Vollmer-Schubert
LHH Referat für Frauen und Gleichstellung
Tel: 0511/168-45301
Emine Yılmaz
LHH Referat für Frauen und Gleichstellung
Tel: 0511/168-47989
Tagungsteam
42
Niedersächsischer Landtag – 15. Wahlperiode Drucksache 15/1942
Unterrichtung
(zu Drs. 15/1676 und 15/1883 neu)
Der Präsident Hannover, den 18.05.2005
des Niedersächsischen Landtages
– Landtagsverwaltung –
Das Handlungskonzept soll folgende Punkte umfassen:
– sinnvolle Maßnahmen zur Klärung des Ausmaßes und der
Auswirkungen von Zwangsheirat in
Niedersachsen unter Einbeziehung von Verbänden sowie
des Bundes zu erarbeiten,
– Entwicklung von Hilfsangeboten (wie z. B. ein Notfalltelefon)
und Präventionsmaßnahmen für die von Zwangsheirat
und Zwangsehe Betroffenen oder Bedrohten und ihre
Familien in Kooperation
mit Schulen, Jugendämtern, Polizei, Ausländerbehörden,
Gewaltberatungsstellen und Familiengerichten sowie gegebenenfalls
Frauennetzwerken,
– Konzept zur Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit,
um Aufklärungskampagnen in Zusammenarbeit
mit Migrantinnen- und Migrantenselbsthilfeorganisationen
durchzuführen.
Der Landtag erwartet, dass die Landesregierung bis spätestens
Ende 2005 einen Zwischenbericht und bis spätestens
Ende 2006 ein Handlungskonzept „Zwangsheirat/Zwangsehe“
vorlegt.
Die Landesregierung wird weiterhin gebeten, die Bundesratsinitiative
von Baden-Württemberg (Drs. 767/04) zu
unterstützen hinsichtlich:
a) möglicher zusätzlicher strafrechtlicher Ergänzungen
(insbesondere Unterstellung unter das
Weltrechtsprinzip in § 6 StGB),
b) möglicher zivilrechtlicher Änderungen (§ 1317 Abs. 1
BGB - Antragsfrist für Eheaufhebung,
§ 1318 Abs. 2 BGB - Sicherung der Unterhaltsansprüche, §
1318 Abs. 5 BGB - Erbfolge bei
Zwangsehe).
Zudem ist zu klären, ob und inwieweit eine Korrektur
aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen (z. B. § 31 und 51
AufenthaltsG – Verbesserung des Bleiberechts für die Opfer
bzw. angemessene Frist zur Rückkehr von Opfern) sinnvoll
ist. Ggf. sind notwendige Initiativen zu ergreifen. Dabei
sind die Folgen für möglicherweise vorhandene Kinder,
deren Unterhalt und Aufenthaltsstatus zu berücksichtigen.
Handlungskonzept: Zwangsheirat ächten – Zwangsehen
vorbeugen
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 15/1676
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen,
Familie und Gesundheit
Drs. 15/1883 neu
Der Landtag hat in seiner 61. Sitzung am 18.05.2005 folgende
Entschließung angenommen:
Handlungskonzept: Zwangsheirat ächten – Zwangsehen
verhindern
Zwangsheirat – eine Eheschließung, bei der eine Ehepartnerin
bzw. ein Ehepartner oder beide nur durch massiven
Druck, Androhung oder Anwendung von Gewalt zur Zustimmung
bewegt wurden – ist eindeutig eine Menschenrechtsverletzung.
Gleiches gilt für Zwangsehen, bei denen eine
Ehepartnerin bzw. ein Ehepartner gezwungen wird, gegen
ihren bzw. seinen Willen eine eheliche Lebensgemeinschaft
– unter welchen Umständen sie auch zustande gekommen
ist – fortzusetzen.
Der Landtag hält u. a. die konkrete Benennung der Zwangsheirat
als einen besonders schweren Fall der Nötigung im
Strafgesetzbuch für geeignet, um dadurch Zwangsehen zu
ächten, ihren Unrechtscharakter gesellschaftlich deutlich
zu machen und Zwangsverheiratungen rechtlich wirksamer
zu verfolgen. Bei den unmittelbar Beteiligten muss ein
Unrechtsbewusstsein geschaffen und die Rechtsstellung
der Opfer gestärkt werden.
Vor diesem Hintergrund bittet der Landtag die Landesregierung,
ein Handlungskonzept zum Thema
„Zwangsheirat/Zwangsehen“ zu entwickeln und die hierfür
notwendigen und sinnvollen Maßnahmen mit Verbänden,
Kommunen, Migrantinnen- und Migrantenselbsthilfeorganisationen,
religiösen Gemeinschaften und insbesondere dem
Bund zu beraten.

Der Oberbürgermeister
Referat für interkulturelle
Angelegenheiten
Telefon 0511 168 41232
Referat für
Frauen und Gleichstellung
Telefon 0511 168 45301
Trammplatz 2 30159 Hannover
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Redaktion
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Landeshauptstadt
1. Auflage September 2005
Arzu Altug Dorit Rexhausen
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